1925: „DIE HOFWIESEN”

Nachdem die Stadt Gera die fürstlichen Hofwiesen erworben hatte, schreibt Stadtoberbaurat Luthardt im Jahre 1925 in der Zeitung „Heimatblätter” über den Zustand, die Bedeutung und Entwicklung dieser.

In der letzten Sitzung ſeiner Amtsperiode hat der verfloſſene Stadtrat eine Entſchließung gefaßt, welche für die Entwicklung des Stadtbildes von weitgehender Bedeutung iſt. Die Stadt hat die Hofwieſen, Schafwieſen und den Prinzenplatz von der Fürſtlichen Hofkammer erworben. Die vorbezeichneten Gelände umfaſſen 42¾ ha und hängen zwar nicht unmittelbar miteinander zuſammen, liegen aber ſämtlich in der alten Elſteraue, und jede der Flächen bildet eine zuſammenhängende Einheit. Nach ihrem Erwerb hat die Stadt Gelegenheit, eine einheitliche Umgeſtaltung jener Gegend durchzuführen, die das Städtebild weſentlich beeinflußt.

Vor der Durchführung der Elſterberichtigung und der in den letzten Jahren erfolgten Aufteilung in Spiel-, Sportplätze, Pachtgärten uſw. bildeten die Hofwieſen ein landſchaftliches Bild, welches für die Stadt von charakteriſtiſcher Bedeutung war. Die breite ebene Grünfläche der Wieſen ſtand in wirkſamem Kontraſt zu den bewaldeten Höhenzügen des Hainberges, dem das auf halber Höhe liegende Schloß Oſterſtein vorgelagert iſt. Mächtige Baumgruppen, beſonders in der Nähe der Untermhäuſer Brücke, gaben in Verbindung mit dem maleriſchen Bilde der Untermhäuſer Kirche, der gegenüberliegenden niederen Gebäude des Fürſtlichen Rentamtes und Baumarſtalles eine harmoniſche Einheit, die durch das überragende Schloß beherrſcht war und die für das Schloß ſelbſt einen wirkſamen Maßſtab bildeten. Man konnte dieſen Punkt als den ſchönſten Punkt des Geraer Stadtbildes bezeichnen, nachdem der Altſtadt aus früherer Zeit erhaltene reizvolle Stadtbilder, wie der Kollegienhof mit dem Badertor, durch die raſche Entwicklung der Stadt ſchon vor Jahrzehnten verſchwunden waren. Leider iſt der Sinn für die verloren gegangenen Schönheiten, wie der Kollegienhof, erſt dann erwacht, als ſie der Entwicklung der Stadt bereits zum Opfer gefallen waren. Sicher hätten ſie ſich erhalten laſſen können, und die neuere Städtebaukunſt hätte Mittel und Wege gefunden, um ſie zu erhalten und bei gleichzeitiger großzügiger Löſung der Verkehrsprobleme in den neuen Geſamtstadtplan aufzunehmen.

Und ſo wurde leider auch die Harmonie des vorzüglichen Bildes an der Untermhäuſer Brücke durch verſchiedene bauliche Maßnahmen arg geſtört. Zunächſt wurde die Bebauung am Gries, d. i. das weſtliche Elſterufer zwiſchen Adelheidbrücke und Eliſenbrücke, nicht nach einheitlichen Geſichtspunkten geregelt, und es entſtanden dort Bauten, u. a. neben der Marienkirche, welche im Maßſtab und Ausbildung als durchaus verfehlt zu bezeichnen ſind. Sodann fiel der Elſterberichtigung der prächtige Baumbeſtand an der Untermhäuſer Brücke zum Opfer. Vergebens haben der Bund Heimatſchutz und Freunde jenes Bildes energiſch Einſpruch gegen dieſe Zerſtörung erhoben. Man kann nur dann den jetzigen Zuſtand gutheißen, wenn es gelingt, für das Verſchwundene an jener Stelle Erſatz zu ſchaffen. Verſprechungen wurden ſeitens der maßgebenden Stellen zur Zeit der Ausführung wiederholt gegeben. Sie zu erfüllen und einen Ausgleich zu finden iſt jedoch weder der Elſterberichtigungsgenoſſenſchaft noch einem Einzelbeſitzer, ſondern lediglich der Stadt möglich, wenn ſie zielbewußt vorgeht.

Auch die Hofwieſen erfuhren höchſt bedauerliche Eingriffe. In ziemlich planloſer Weiſe wurde das ganze Gelände in Schrebergärten und Spielplätze für einzelne Vereine aufgeteilt. Anſtatt über eine gleichmäßige wohltuend grüne, ebene Fläche mit guten Ausblicken, wandelt man heute dort zwiſchen hohen, unregelmäßigen Zäunen, die keinerlei Freude an dem jetzigen Zuſtande aufkommen laſſen. Auch hier muß eine Neuregelung durchgeführt werden. Die heutigen Verhältniſſe verlangen gebieteriſch die Anlage von Sport- und Spielplätzen in genügendem Umfange zur Ertüchtigung und Erſtärkung unſerer Jugend. Es gilt nun unter den dort eingeriſſenen Zuſtänden allmählich Wandel zu ſchaffen und unter Berückſichtigung berechtigter neuzeitlicher Forderungen in bezug auf Anlage und Einrichtung dieſer Sport- und Spielplätze eine Zuſammenlegung nach einem geordneten Plane durchzuführen, und nach Möglichkeit den früheren ſchönen Zuſtand wieder herzuſtellen. Dieſe Regelung kann natürlich nicht von heute auf morgen erfolgen, ſondern zunächſt muß der Plan ausreifen und unter Wahrung der Intereſſen der jetzt dort angeſiedelten Vereinigungen nach und nach zur Durchführung gelangen. Ein Vorprojekt hierüber iſt ſchon vor einigen Jahren von mir aufgeſtellt worden. Mit Rückſicht auf die Wichtigkeit der Hofwieſen im Stadtbilde ſind jedock noch Fachleute hierüber zu hören, ſo daß alle Forderungen nicht nur in wirtſchaftlicher und technischer, ſondern auch in äſthetiſcher Beziehung volle Berückſichtigung finden können.

Um eine Bebauung des Randes mit landhausmäßigen Häuſern wird man nicht herumkommen, einesteils, um das Geſamtprojekt finanzieren, andernteils, um den Hofwieſen auch nach der Stadt einen beſſeren Abſchluß geben zu können, als er heute vorhanden iſt. Die Geſamtfläche aber zwiſchen Heinrichsbrücke und Untermhäuſer Brücke muß in den großen Grünplan bzw. in das Grünnetz der Stadt eingefügt werden, welches für Zufuhr von Sauerſtoff in die eng bebauten Stadtviertel unerläßlich iſt. Ich habe deshalb das Gelände ſchon früher als die „Lunge” der Stadt bezeichnet, zu deren Verwirklichung der Erwerb dieſes Geländes der unmittelbar an den Stadtkern anſchließenden Hofwieſen die Möglichkeit bietet. Wenn der Erwerb dieſes Geländes einesteils auch eine außerordentliche finanzielle Belaſtung der Stadt darſtellt, ſo muß man doch anerkennen, daß der Stadtrat durch den Beſchluß des Ankaufes die ureigenſten Intereſſen der Stadt und ihre Entwickelung weitgehend gefördert hat. Es iſt jetzt nicht mehr möglich, daß ein Teil des Geländes zu ſpekulativen Zwecken ausgenutzt wird und weitere Beeinträchtigungen des Stadtbildes erfolgen können. Wichtige wirtſchaftliche, politiſche, geſundheitliche, bautechniſche und äſthetiſche Gründe ergeben, daß der Kauf im Intereſſe der Geſamtbevölkerung geboten war.

Die Hofwieſen zwiſchen dem Stadtbad und der Adelheidbrücke einerſeits und Elſter und Hofwieſenſtraße andererſeits haben eine Fläche von rund 22½ ha. Sie wird in der Hauptſache als Grünanlage verwendet und nur ein Teil, wie ſchon oben erwähnt, für eine angemeſſene Bebauung freigegeben werden.

Ueber die Geſchichte der Hofwieſe teilt Herr Stadtarchivar Kretſchmer folgenden Abriß mit:

Die obere und untere Hofwieſe gehörte ſeit den älteſten Zeiten zum „Hofacker” des alten Elſterschloſſes, das ſeit 1581 unter dem Namen Oſterſtein erscheint.
Die Hofwieſe ſetzt ſich aus drei in den Lehnsregiſtern und Teilungsrezeſſen geſchiedenen Teilen zuſammen:
I. „die Schwarmin” mit dem dazu gehörigen 10 Scheffelfeld und dem Weidicht (wohl der nördliche Teil), der im 16. Jahrhundert dem Bürgermeiſter Bieger in Gera als kanzleilehnbares Pertinenzſtück übereignet wurde.
II. der oberen und III. der unteren Hofwieſe.
Der erſtgenannte Teil wurde nach 1684, Auguſt 13., dem gräfl. reuß. Kanzler Joh. Heinr. Albert in Lehen gegeben, einſchließlich des wohl dazu gehörigen „Bieger’ſchen Haingutes”.
II. und III. erſcheinen, deutlich geſchieden, im Teilungsregiſter von 1647. Die Vorſtädter – das iſt die alte ſorbische Grundbevölkerung – haben hier folgende Handfrohne zu leiſten:

1. Die Maulwurfshügel auff der oberen und unteren Hoffwieſen jährlich vorziehen und die Wieſen abräumen.
2. Das Heu und Grummet auff obig gedachten Wieſen dürr machen.
3. Allen Hopffen, ſo Gnädiger Herrſchaft wächſet, abpflücken.

Von dieſen 95 Fröhnern mußten wenigſtens zwei Drittel zur Stelle ſein: „wenns mans heiſcht” – die Fron war alſo, wie bei der unterworfenen ſorbischen Grundbevölkerung, „ungeſetzte” (d. h. nicht nach Zeit feſt beſtimmte). Unter 6 der Frohnleiſtung vom Jahre 1647 lieſt man u. a.: „Müſſen das Miſtaufſchlagen Unterm Hauſe in Vorwerck verrichten und den Miſt ufn Obern und Untern Hoffwieſen Acker zetteln.” Als Frohngebühr erhielt jeder drei Frohn-Brodte. Beim Hopfenpflücken erhielt jeder 9 Hofſemmeln.

Ueber die Größe der Hofwieſen orientiert halbwegs der 1647 verzeichnete Ertrag des damaligen Normaljahres:
60 Fuder Heu erhielt man damals nach Abzug von 23 Scheffel Feld dieſer Wieſe von der oberen Hofwieſe.
65 Fuder ergab die untere Hofwieſe, von der aber 31 Scheffel Feld abgeſpalten waren.
Die obere Hofwieſe war 1647 ſtark mit Hopfen beſtanden. Im Regiſter von 1647 leſe ich: Hopff Berge. „ Das große Stücke an der Oberen Hoffwieſen, wozu noch ein Stück von Jakob Buttermann in Gera erkauffet”, hält 3 Acker 24 Ruthen.
An „Wieſen und Weinbergsfelder” ſind 1647, als der Herrſchaft gehörig, „8 Scheffel, 1 Acker auff der oberen Hofwieſen” und „4 Scheffel Weydicht daſelbſt” geſondert neben 11 Scheffel altem Felde dort aufgeführt.
4 Scheffel Feld hielt das Grieß Aeckerlein auff der unteren Hoffwieſen, „ſo umb Zehenden abgeschnitten wird”.
2¼ Scheffel waren dort Hanfland. 29 Scheffel waren dort bereits in Feld verwandelt.

Zeitungsbild

Die obere und untere Hofwieſe diente im Herbſt zur Koppeltrift der Landesherrſchaft.
Die Hofwieſe war mit dem Elſterſchloß urſprünglich Beſitz eines edlen Geſchlechts, das ſich von Gera nannte und von denen ein Ludoldus, Sibertus und Tuto von Gera urkundlich bezeugt ſind (1247 etwa!). Die Wieſen gehörten zum ſogenannten „Mundgut” des Elſterschloſſes und die hier anſäſſigen milites agrarii = die Ackerbau treibenden Ritter (castellani) verpflichteten die ſorbische Grundbevölkerung, die in den Mauern der Stadt nicht geduldet wurde, zur ungeſetzten Fron. Das Vorwerk Untermhaus und das eingegangene Biegerſche Haingut teilten ſich in den alten Hofacker, die heutige Hofwieſe. Die Hofwieſen ſtießen im Südoſten an den Anger der Stadt. 1647 wird betont, daß drei kleine Häuslein „ſo auffs Ritterguth beim Anger gebaut” auf Hofwieſenboden ſtünden. Die heutige Hofwieſe macht nur drei Viertel des einſtigen Hoffeldes aus.

Zeitungsbild

Unſere Kinder und Enkel werden für die Aufnahme der eingangs erwähnten bedeutſamen Anregungen durch den Stadtrat und Ermöglichung der Durchführung durch den Erwerb der Hofwieſen danken. Auch Seiner Durchlaucht dem Fürſten iſt zu danken, daß er zu annehmbaren Bedingungen den Uebergang an die Stadtgemeinde als der Vertreterin aller öffentlichen Intereſſen ermöglicht hat. Die Bemühungen des Bundes Heimatſchutz aber, anſtelle verloren gegangener wertvoller Stadt- und Landſchaftsbilder neue ideelle Werte zu ſchaffen, werden durch den großzügigen Entſchluß des Stadtrates ihrer Verwirklichung entgegengeführt.

Heute ſchon den Plan über die zukünftige Geſtaltung der Hofwieſen zu veröffentlichen, ſcheint verfrüht, da der Plan erſt reifen muß. Die beiden Abbildungen über den bereits ausgeführten Teil der Grünanlagen – die ſogenannten kleinen Hofwieſen – zwiſchen der Heinrichsbrücke und der Badeanſtalt zeigen jedoch den Anfang der Umgeſtaltung mit dem Sommerbad, Luftbad, Eisbahn und Spielplätzen. Hieran müſſen ſich ſodann die übrigen Erholungsſtätten organisch anſchließen.

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