GEHEIME VERHANDLUNGEN UM DENIZ YÜCEL

Deniz Yücel ist in diesen Tagen auf den Titelseiten vieler großen Zeitungen zu sehen. Der Korrespondent der Zeitung „Die Welt“ (Verlag Axel Springer) wurde am Freitag, den 16. Februar 2018, überraschend aus der Untersuchungshaft in der Türkei entlassen. Es wird von umfangreichen geheimen diplomatischen Verhandlungen berichtet, die der Entlassung vorausgegangen waren.

Insgesamt 367 Tage verbrachte Yücel in Untersuchungshaft, nachdem er im vergangenen Jahr in die Türkei gereist war und sich freiwillig der türkischen Justiz gestellt hatte. Am Freitag durfte er das Gefängnis von Silivri, etwa 60 Kilometer von Istanbul entfernt, verlassen. Seine Frau nahm ihn im Empfang; beide fuhren zum Flughafen, wo eine Chartermaschine des Axel-Springer-Verlages wartete. Denn die Türkei verlangte die sofortige Ausreise. Am Abend trafen sie schließlich im militärischen Teil des Berliner Flughafens Tegel ein.

Über Twitter veröffentlichte Yücel anschließend ein Video und teilt mit, er wisse nicht, weshalb er vor einem Jahr verhaftet und warum er am Freitag freigelassen wurde.

Ein Gericht in Istanbul hatte die Freilassung am Freitag nach Vorlage der Anklageschrift angeordnet. Dem Korrespondenten, der die deutsche und türkische Staatsbürgerschaft inne hat, wird vorgeworfen, er habe mit seinen Texten Terrorpropaganda verbreitet. Ein deutscher Agent und ein Terrorist soll er sein, behauptet der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Mit der Anklageschrift wurde ein Beitrag Yücels vom Juni 2016 vorgelegt, in dem er mit einem PKK-Kommandanten spricht. Die Staatsanwaltschaft fordere laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu eine Haftverbüßung von 18 Jahren. Weiter heißt es, das Verfahren gegen Yücel werde fortgeführt.

Über die näheren Umstände der plötzlichen Entlassung berichtete am Samstag die Süddeutsche Zeitung, welche zusammen mit dem Westdeutschen Rundfunk und dem Norddeutschen Rundfunk intensive Recherchen betrieb. In der SZ Nr. 40 wird von umfangreichen geheimen diplomatischen Verhandlungen berichtet. Außenminister Gabriel habe den ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder, der als guter Freund genannt wird, um Vermittlungshilfe gebeten. Dieser wiederum sei am 1. September 2017 mit Angela Merkel in Kontakt getreten, um Zustimmung einzuholen. Auch Merkel habe Schröder, dem gutes Verhandlungsgeschick zugeschrieben wird, um Hilfe im Fall Yücel gebeten. Über den Altkanzler soll Erdogan nämlich einst gesagt haben, er sei der einzige Deutsche, dem er noch vertraue – ein wahrer Freund der Türkei. Schließlich sei Schröder zweimal, zuletzt am 19. Januar 2018, in die Türkei gereist und habe dort mit Präsident Erdoğan gesprochen. Weiter wird über die geheimen Verhandlungen berichtet, Außenminister Sigmar Gabriel habe sich in den vergangenen Wochen zweimal mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan getroffen – am 4. Februar in Rom und eine Woche später, am Sonntag, den 11. Februar, in Istanbul.

Über die Sichtweise in Berlin heißt es, die türkische Regierung nehme Deutsche offenbar als Geiseln, um die Auslieferung von Anhängern des Predigers Gülen, den sie für den Putschversuch verantwortlich macht, zu erwirken. Nach dem Putschversuch im Juli 2016 waren viele, die sich mit Anschuldigungen konfrontiert sahen, von der Türkei nach Deutschland geflüchtet.

Außenminister Sigmar Gabriel, den die Süddeutsche Zeitung am Freitag zu einem Gespräch geladen hatte, schloss aus, dass es einen politischen Handel gab. Es sei darum gegangen, das Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland zu verbessern. Und Kanzlerin Angela Merkel habe bereits am Donnerstag gesagt: „Es gibt … keinerlei Verbindungen zwischen Entscheidungen über Rüstungsgeschäfte und den Fällen wie dem von Deniz Yücel.“

Unter den Artikeln über Yücels Freilassung finden sich im Internet nur sehr wenige positive Kommentare. Wer bislang noch nie etwas von ihm gehört hat und nach seinen Werken recherchiert, stößt zuerst auf einen sehr provokanten Text, in dem er den Deutschen den baldigen Abgang wünscht. Diese Kolumne erschien ein Jahr nach Tilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ und sei in diesem Kontext eine satirische Reflexion mit einseitigen Betrachtungen.

Was die Türkei und deren gegenwärtiger Zustand anbetrifft, erfahren wir aus den Berichten der Stuttgarter Börse von einem hohen Leistungsbilanzdefizit. Das Land sei einerseits auf ausländische Gelder angewiesen. Andererseits haben sich zahlreiche Investoren zurückgezogen. Als Grund wird die schwierige politische Lage genannt. Somit fließe kaum noch Geld in die Türkei. Das Haushaltsdefizit sei mittlerweile enorm hoch. Man müsse sehr viele wichtige Dinge importieren und könne sich dies eigentlich nicht mehr leisten. Mit jedem Import erhöhten sich die Auslandsschulden. Zugleich wurde die Kreditwürdigkeit des Landes herabgestuft. Man geht davon aus, dass sich die Politik am Ende des Tages den ökonomischen Zwängen beugen muss. Der Türkei werde irgendwann einmal das Geld ausgehen. Es folge der Hunger, dann der innerpolitische Aufstand, sagte der Direktor des Europäischen Institutes für Financial Engineering und Derivateforschung in einer Sendung der Stuttgarter Börse. Und das wisse die Führung in der Türkei sehr genau.

Die Taktik ist bekannt. Im Grunde soll die Türkei dadurch bei Verhandlungen zum Einlenken in eine bestimmte Richtung bewegt werden. Möglicherweise geht es letztendlich um die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen.

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