MUSIKTHEATER-PREMIERE „DER KAISER VON ATLANTIS”

Viktor Ullmann (1898-1944) komponierte das Spiel in einem Akt „Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung“ 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt. Zum 75. Todesjahr des Komponisten wird das Werk bei Theater & Philharmonie Thüringen in Zusammenarbeit der Sparten Musiktheater und Puppentheater nun von Kai Anne Schuhmacher (Titelbild) inszeniert und kommt am Samstag, 4. Mai 2019 um 19.30 Uhr auf der Bühne am Park des Geraer Theaters zur Premiere. Die musikalische Leitung übernimmt Takahiro Nagasaki. Bühne und Puppen gestaltet Udo Schneeweiß, Hedda Ladwig entwirft die Kostüme dazu. Es singen Alejandro Lárraga Schleske (Kaiser), Johannes Beck (Lautsprecher), Ulrich Burdack (Tod), Florian Neubauer (Harlekin), Gustavo Mordente Eda (Soldat), Sujin Bae (Bubikopf) und Judith Christ (Trommler). Als Puppenspieler treten Sabine Schramm, Tobias Weishaupt und Leonti Usolzew auf.

Die Kammeroper ist mehr als nur ein zeitgeschichtliches Dokument, weil sie zeitlose ethische, philosophische und religiöse Themen behandelt: Wie ist das Verhältnis des Individuums zur Mehrheit? Welche Strukturen bestimmen das Leben? Was ist der Sinn des Lebens? Und welche Rolle spielt dabei der Tod?

Die holzschnittartige Anlage der Figuren und die parabelhaft offene Form prädestinieren dieses Werk geradezu für eine Interaktion von Puppenspiel und Musiktheater.
Zur Handlung: Der Tod ist in Lethargie verfallen und ergeht sich in nostalgischer Verklärung vergangener Kriege. Der Trommler, Werkzeug des Kaisers Overall, proklamiert den totalen Krieg. Der Kaiser wiederum setzt dabei die Mitwirkung des Todes voraus. Dieser jedoch fühlt sich gegen seinen Willen vereinnahmt und tritt in den Streik. Über den Lautsprecher erfährt Overall, dass die Menschen nicht mehr sterben können. Das Land versinkt im Chaos. Im Moment des Zusammenbruchs seiner Herrschaftsordnung begegnet der Kaiser dem Tod. Dieser schlägt ihm einen Handel vor: Er sei bereit, sein Handwerk wieder auszuüben, wenn der Kaiser einwilligt, als Erster zu sterben.

Die Produktion ist Teil der Reihe „Wider das Vergessen“. Die Regisseurin Kai Anne Schuhmacher ist Stipendiatin der Theater-Stiftung Gera.

Weitere Aufführungen in Gera gibt es am Samstag, den 11. Mai, 19.30 Uhr und Donnerstag, den 30. Mai, 18 Uhr, hier im Rahmen des Festivals 90 Jahre Puppentheater Gera.

Eintrittskarten sind an der Theaterkasse erhältlich. Diese können telefonisch unter der Rufnummer 0365 8279105 bzw. 03447 585177 sowie über www.tpthueringen.de reserviert werden.

Regisseurin Kai Anne Schuhmacher sprach über ihre neue Inszenierung „Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung“. Das Gespräch führte Dramaturgin Jannike Schulte.

In dieser letzten Produktion des Stipendiatenprojekts der Theater-Stiftung Gera hast du dich einer spartenübergreifenden Produktion gewidmet. Was ist in einer solchen Produktion, in der Sänger zu Puppenspielern werden und Puppenspieler im Musiktheater mitwirken, die größte Herausforderung?

Schuhmacher: „Jede Sparte hat ihre ganz eigene Art des Probenprozesses, der Vorbereitung und der Entwicklung von Szenen. Im Gegensatz zum Musiktheater, wo durch die Komposition der Rhythmus und das Timing der Sprache gesetzt ist, hat man im Puppentheater quasi unendlich viel Zeit eine Szene zu spielen oder den Text zu rhythmisierten und zu färben, ähnlich wie im Schauspiel. Die Arbeit, die dann in den Proben geschieht, ist demnach in beiden Sparten sehr unterschiedlich. Vor den Proben werden in Musiktheaterproduktionen die Stücke bereits musikalisch einstudiert, der Text sitzt also meist perfekt. Die Sänger/-innen möchten in den darauffolgenden szenischen Proben dann effektiv an ihren Charakteren arbeiten und direkt beginnen, mit den Kollegen die Szenen zu gestalten. Im Puppentheater wird aber zuallererst einmal das Material untersucht, also die Puppen. Was „können“ diese Mitspieler, welche Sprache gibt man ihnen. Zu wie vielen spielt man eine Puppe am besten? Wer führt den Kopf? Diese Arbeit erfordert viel Geschick, aber auch Geduld. Wir haben einmal eine gesamte Probe darauf verwendet, um eine Puppe wieder von der Bühne abgehen zu lassen. Nichts hat uns zufrieden gestellt. Als Sänger/-in in diesem Prozess geduldig zu bleiben war sicher eine Herausforderung, genau so wie die Bereitschaft der Puppenspieler/-innen innerhalb sehr streng gesetzten Timings Szenen zu gestalten. Mir war es wichtig die Sparten nicht nach ihren Kompetenzen zu trennen, sondern sie zu durchmischen und ein gemeinsames Ensemble zu schaffen. Dadurch musste jede/r etwas neues Erlernen, aber ich denke dieser Prozess hat aus den Künstler/-innen ein starkes Team aus musikalisch versierten Darstellern gemacht.“

Was ist die größte Herausforderung im Zusammenhang mit dem Stück „Der Kaiser von Atlantis“?

Schuhmacher: „Sich vom Hintergrund der Entstehungsgeschichte nicht völlig lähmen zu lassen. Viktor Ullmann und Peter Kien haben dieses Stück in einer für uns unvorstellbar schweren Zeit geschrieben. Unter menschenunwürdigen Bedingungen haben sie sich mit ihren Kollegen zusammen getan, um Kunst zu machen. Sie haben kein Trauerspiel geschrieben, sondern ein Stück das trotz der sehr klaren Kritik gegenüber dem herrschenden System voll von bissiger Ironie, schwarzem Humor und Skurrilität steckt. Es war ein Stück das mit einem zwinkernden Auge zu den Mitinsassen sagen sollte: Kopf hoch! Leider ist es in Theresienstadt nie zur Aufführung gekommen.“

Welche Art des Puppentheaters ist zu erleben?

Schuhmacher: „Wir haben nicht gespart an Formen des Puppentheaters. Von lebensgroßen Puppen aus Vollholz, über Marionetten bis hin zu Schattenfiguren ist alles vertreten. Atlantis, das sind die Allegorien und absurden Charaktere, die auftreten, die skurrilen Figuren, die durch Puppen so wunderbar darstellbar sind. Eine besondere Form des Figurentheaters wird in Form von Projektionen abgebildet, die durch Live-Videoaufnahmen entstehen. Dabei werden kleine Plastiksoldaten abgefilmt und das Kriegsgeschehen, das auf Makroebene passiert, überdimensional auf eine Leinwand vergrößert.“

Was ist das Besondere an der Arbeit mit Puppen?

Schuhmacher: „Puppen lassen sich, wie beispielsweise die Spielzeugsoldaten, in einen anderen Kontext setzen. Größenverhältnisse können auf den Kopf gestellt werden. Puppen können im Gegensatz zu Menschen außerdem wunderbar fliegen oder sterben. Und sie haben eine ganz besondere Beziehung zum Publikum, denn obwohl sie keine Mimik haben, wie wir Menschen, projizieren wir als Zuschauer Emotionen, Intentionen oder sogar Charaktereigenschaften in sie hinein. Das Material schafft trotzdem eine Distanz, bei der wir uns plötzlich trauen, uns vollständig auf dieses Wesen einzulassen und uns auf einmal sogar mit einem Diktator identifizieren können.“

Wie entscheidest du, welche Figur durch eine Puppe gespielt wird?

Schuhmacher: „Warum Puppen die Bühne betreten, besonders wenn sie gemeinsam mit „menschlichen“ Darstellern agieren, ist eine sehr wichtige Frage. Für mich war die Aufteilung so, dass die Welt des Kaisers, d.h. der Kaiser und seine Handlanger, der Lautsprecher und der Trommler, als Puppen dargestellt werden. Alle drei Charaktere haben etwas Maschinelles, Entfremdetes. Auch Dinge, die in Distanz geschehen, wie beispielsweise die Kriegsszenen oder die Erinnerungen des Todes, werden durch Figuren im Schattenspiel oder Livevideo dargestellt. Später in der Konzeptarbeit haben auch die beiden Menschen, Soldat und Bubikopf, ihre Entsprechung in Form von zwei Marionetten bekommen, die an ihren Fäden Spielbälle des Schicksals sind. Deshalb muss man wohl eher fragen, welche Figuren nicht durch Puppen dargestellt werden. Das sind ganz klar Tod und Harlekin. Der Harlekin wird bereits im Libretto als „das Leben“ vorgestellt und hat in meiner Vorstellung auch gemeinsam mit seinem Zirkustross die Rolle des Schicksals. Die beiden „göttlichen“ Allegorien Tod und Leben sind deswegen Ausnahmeerscheinungen, die keine Entsprechung im Material bekommen haben.“

Die Figur des Kaisers ist gleich in drei Formen zu sehen — warum?

Schuhmacher: „Durch die Weigerung des Todes die Menschen sterben zu lassen bricht auf der Welt absolutes Chaos aus. Der Wahnsinn regiert. Die Bedrohlichkeit des Kaisers wächst. Ein verrückter Herrscher ist an der Macht und niemand, nicht einmal der Tod kann oder will ihm mehr Einhalt gebieten. Mit dem Chaos wächst auch die Figur des Kaisers, er wird größer und übermächtiger. Erst als der Tod seine Arbeit wiederaufnimmt, wird die Puppe wieder zum Menschen (Achtung Spoiler-Alarm!!!). Es geht im Stück um Vergebung und Schuld. Man sagt nicht umsonst: „Irren ist menschlich, vergeben ist göttlich“. Der Kaiser gibt schließlich seinen Puppenkörper auf, denn nur als Mensch kann er um Vergebung bitten und sterben.“

Was macht die Oper heute noch aktuell?

Schuhmacher: „Ganz zu schweigen von der Notwendigkeit die schrecklichen Geschehnisse des 2. Weltkrieges nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, stellt die Oper hochaktuelle Themen zur Diskussion. Wir sind alle immer noch den Herrschenden ausgeliefert. Das mögen in unseren Breitengraden keine Diktatoren sein, aber Medienmogule, große Firmen und Pharmakonzerne, die unser Essen vergiften, das gehört alles zu unserer Realität hier in Europa. Kaiser Overall will die Menschen bestrafen. Er sagt: „Die Menschen verdienen es nicht (Erlösung im Tod zu finden)“. Er sagt: „Es fällt, wo du nicht bist, der Schnee. Es strömt, wo du nicht bist, der Sommerregen aus. Wo du nicht bist, ist viel!“ Mit „du“, damit meint er den Menschen an sich. Die Erde könnte ohne das Menschengeschlecht sehr gut überleben. Mit dieser Textstelle trifft die Oper eine ganz große Frage unserer Zeit: Ob die Erde ohne unsere Kriege, unsere Umweltverschmutzung und unseren Egoismus nicht vielleicht besser dran wäre.“

QUELLE: THEATER ALTENBURG-GERA GGMBH

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