KEIN MILLIMETER MEHR DEN FEINDEN DER FREIHEIT

In einem Gastbeitrag für die Zeitung „Bild”, Ausgabe vom 22. Juni 2019, ruft Außenminister Heiko Maas, SPD, zu Protesten gegen Rechtsextremisten auf.

Mit Blick auf den Mordfall Lübcke, die NSU-Mordserie, die Attentate auf die Kölner Oberbürgermeisterin und den Altenaer Bürgermeister diagnostiziert Maas, Deutschland habe ein Terrorproblem und deutet mahnend auf die NS-Zeit.

Viele Menschen würden auch jetzt noch ihre Augen verschließen. Maas fordert, das Problem bei der Wurzel zu packen. Entschlossen und kompromisslos müssten Demokraten klare Grenzen ziehen und dagegen halten.

„Zeigen wir, dass wir mehr sind als die Rechtsradikalen, die Antisemiten, die Spalter.” Vielleicht brauche das Land nicht nur die Klimaschutzbewegung sondern auch einen „Donnerstag der Demokratie”, meint Maas. Weiterhin verlangt er, den „Feinden der Freiheit” keinen Millimeter mehr Platz zu lassen. Man müsse gemeinsam, jeden Tag und überall den Anfängen wehren.

Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel” schreibt in seiner Ausgabe vom 22. Juni 2019, die Politik habe die tödliche Gefahr von rechts unterschätzt und verharmlost. Auf insgesamt elf Seiten wird über die „Feinde der Demokratie”, die „Hinrichtung” Lübckes, „braunen Hass” und Terrorismus geschrieben, und unter der Überschrift „Blut und Bomben” erscheint eine Chronik mit den Todesopfern rechtsextremer Gewalt in Deutschland ab 1980.

Der Blick in die Zeitungen und Magazine macht deutlich, wie weit die Spaltung der Gesellschaft inzwischen fortgeschritten ist, wie unerbittlich man geworden ist, wie extrem auf beiden Seiten, und wie sehr man sich gegenseitig befeuert. Die Frage, wie der entstandene Riss wieder geschlossen werden kann und warum dieser überhaut entstanden ist, kommt nicht auf.

Der ahnungslose Leser wird in Angst versetzt, hat er doch mit einer solchen Bedrohung, ausuferndem Hass und Morden, nicht gerechnet. Er wird vom Staat ein konsequenteres Vorgehen gegen die „Feinde” verlangen, sich womöglich selbst engagieren und, wie Minister Maas es fordert, schon auf die kleinsten Anzeichen achten — unter Freunden, in der Familie, auf Arbeit, in Sportvereinen.

Ist es genau das, was die Artikel bewirken sollen? Sicherlich wurden sie mit Bedacht geschrieben, eine bestimmte Perspektive einnehmend und so, dass sie beim Leser die gewünschte Wirkung haben. Dabei kann es auch nützlich sein, Begriffe wie „Verfechter der Demokratie”, „Aktivisten”, „Klimaschützer” für die eine Seite zu verwenden und damit mehrere Bewegungen zu bündeln, und Bezeichnungen wie „ewig gestrige”, „alte weiße Männer”, „Nationalisten” und „Terroristen” für die andere.

Dazwischen gibt es nichts mehr, außer einen tiefen Graben. Möglicherweise ist es nicht mehr weit hin, bis ein jeder sich für oder gegen etwas bekennen muss, um ihn entsprechend kategorisieren zu können. Auf die zahlenmäßige Überlegenheit wird es nämlich früher oder später ankommen. „Wir sind mehr” — dieser Losung folgend, wird auch die andere Seite versuchen, weitere Menschen für ihre Überzeugungen zu gewinnen. Doch je mehr in die konträre Auseinandersetzung eingebunden und gegeneinander mobilisiert werden, und je stärker das ganze befeuert wird, desto schwerwiegender sind dann die Folgen.

Warum wird überhaupt auf diese Weise vorgegangen? Die Politik arbeitet sich erkennbar immer mehr an den Symptomen der schlimmer werdenden systemischen Krankheit ab und spricht selbst sogar schon von Krebsgeschwüren — weil der gesellschaftliche Verfall und die Auswüchse unübersehbar geworden sind und auch für die Regierenden langsam bedrohlich werden. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die Symptomunterdrückung alle verbliebenen Kräfte binden wird.

Selbstreflexion, die Hinterfragung des eigenenen Handelns, wird auf allen Ebenen vermieden und ist wahrscheinlich aufgrund der starken Überzeugung eines jeden, das richtige zu tun, auch gar nicht möglich. Das führt zum Dogmatismus, und die logische Folge seines moralischen Mangels und der theoretischen Unfähigkeit ist der Verweis auf Feinde, die bekämpft werden müssen.

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