THÜRINGEN VOR SCHWIERIGEN KOALITIONSVERHANDLUNGEN

Von den rund 1,73 Millionen stimmberechtigten Bürgern beteiligten sich 1,12 Millionen bzw. 64,9 % an der Wahl zum siebten Thüringer Landtag. Das waren deutlich mehr als vor fünf Jahren. Das Regierungsbündnis aus Linkspartei, SPD und Grünen kann ohne einen weiteren Partner nicht fortgesetzt werden. Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linkspartei wird vorerst geschäftsführend im Amt bleiben. Vielen erscheint auch eine Minderheitsregierung wahrscheinlich.

Das Thüringer Landesamt für Statistik veröffentlichte nach Auszählung aller Stimmen nachfolgendes vorläufiges Ergebnis.

Linkspartei: 31 %
AFD: 23,4 %
CDU: 21,8 %
SPD: 8,2 %
Bündnis ’90/Die Grünen: 5,2 %
FDP: 5,0005 %

Vormalige Nichtwähler, Protestwähler und taktische Wähler standen bei dieser Wahl besonders im Blick, da sie mit ihrer Stimme in jüngster Zeit für deutliche Veränderungen in der politischen Landschaft gesorgt hatten, während die parteitreuen Wähler weniger werden.

Die meisten Stimmen entfallen auf die Linkspartei; sie wird erstmals stärkste Kraft, was größtenteils auf die Beliebtheit Bodo Ramelows zurückgeführt werden kann. Ramelow wird der gemäßigten Seite seiner Partei zugeordnet, ist weniger Ideologe, sondern mehr Pragmatiker. Er möchte mit allen Parteien außer der AFD über eine Koalition sprechen.

Die höchsten Zugewinne hat jedoch die AFD. Sie konnte ihr Ergebnis mehr als verdoppeln und hat innerhalb nur weniger Jahre einen relativ hohen Anteil erreicht. Vor allem ehemalige Wähler der Linken, der CDU sowie viele Nichtwähler entschieden sich für die AFD. Ihr bestes Ergebnis erzielte sie in Gera mit 29,9 % der Stimmen. Der Landesverbandsvorsitzende Björn Höcke ist allerdings sowohl bei AFD-Wählern als auch innerhalb der Partei umstritten. In einigen Gegenden genießt er hohen Zuspruch, andere finden ihn zu extrem. Dem von ihm maßgeblich geprägten „Flügel“ sollen mittlerweile bis zu einem Drittel der AFD-Mitglieder zuzurechnen sein. Nach den Wahlerfolgen in diesem Jahr könnte dessen Einfluss weiter wachsen.

Die CDU wurde auf den dritten Platz verwiesen und erreichte in Thüringen ihr schlechtestes Ergebnis. Schon vor der Wahl kündigte Mike Mohring an, weder mit der Linkspartei noch mit der AFD koalieren zu wollen. Eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei unter Bodo Ramelow schloss er jedoch nicht aus. Viele einstige Wähler meinen, dass die CDU für Konservative nicht mehr in Frage kommt, solange sie mehr programmatische Schnittmengen mit SPD und Grünen denn mit der AFD sieht.

Die SPD befindet sich sowohl deutschlandweit als auch in Thüringen seit längerem in einer Schwächephase mit tendenziell abnehmender Stimmenzahl. Auch bei dieser Wahl sind hohe Verluste zu verzeichnen. Viele Wähler vertrauen der SPD nicht mehr, lehnen das Regierungsbündnis mit der Union in Berlin ab und dürften die permanenten Erneuerungsversuche der Partei eher negativ werten. Ihren Status als Volkspartei verliert sie zusehends.

Die Grünen konnten in Thüringen nur magere Ergebnisse erzielen. Den meisten Zuspruch finden sie in den größeren Städten, und dort wiederum bei Schülern, Studenten und Besserverdienenden. Thüringen dagegen hat einen hohen Anteil an Geringverdienern, älteren Menschen und ländlichen Wohngegenden.

Nach fünf Jahren der Abwesenheit wird die FDP wieder im Landesparlament vertreten sein. Nur fünf Stimmen waren ausschlaggebend. Sie könnte nun als Koalitionspartner in Frage kommen.

Alles in allem ist über die Jahre hinweg eine Tendenz zunehmender Unsicherheit, Spannungen und Aggressivität bei gleichzeitig abnehmender Handlungsfähigkeit erkennbar. Damit scheint die Entwicklung dem klassischen Verlaufsmodell zu folgen.

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*