UNTERSCHIEDLICHE SICHTWEISEN AUF DEN RUSSLAND-UKRAINE-KONFLIKT

Der Krieg in der Ukraine beherrscht weiterhin die Nachrichten — häufig mit der Anmerkung, diese oder jene Meldung lasse sich nicht überprüfen. Der russischen Regierung wird vorgeworfen, Phantasien von einem Großreich verwirklichen zu wollen, möglicherweise von einem schwer erkrankten Präsidenten ausgehend, und in vielen weiteren Berichten ist zu lesen, die Menschen stünden unter dem Einfluss staatlicher Propaganda und hätten kein klaren Bild von der Situation.

Der russische Schriftsteller Viktor Jerofejew attestierte seinen Landleuten sogar Unreife. Im Deutschlandfunk verglich er sie mit Kindern, die um sich herum Feinde sähen und nicht reif für die Demokratie seien. Man glaube eher an einen Kult der Macht denn an Humanismus. In der russischen Fernsehrealität werde den Leuten erzählt, sie seien das Licht der Welt, während die Ukraine und der Westen die Dunkelheit verkörperten. Russen hielten die Demokratie für eine schwache Staatsform voller Kompromisse.

Die Zeitung „Welt am Sonntag“ fragte am 10. April 2022: „Wer sind diese Soldaten?“ Bei der russischen Armee herrsche ein sozialdarwinistisches Weltbild, wird in dem Artikel erklärt. Zu Wort kommt Gustav Gressel, Senior Policity Fellow der Denkfabrik „European Council on Foreign Relations“. Er beschäftigt sich mit den russischen Kriegsverbrechen und Exzessen einzelner Soldaten und Truppenverbände. Mit Blick auf das Ausmaß an Brutalität könne hier die Sozialstruktur der Soldaten eine Rolle spielen, meint Gressel. Viele der jungen russischen Soldaten stammten aus der Provinz, aus armen und zerrütteten Familien, hätten einen niedrigen Bildungsstand und seien oftmals emotional unterentwickelt und leicht manipulierbar. Bei der Umsetzung eines Befehles griffen viele zur rohen Gewalt, so wie sie es aus ihrer Familie und ihren Alltag kennen würden. Das Militär sei für sie die einzige Berufsoption gewesen.

In Russland dagegen ist die Betrachtung eine völlig andere: Der Westen wird vielfach als Aggressor betrachtet. Die Politik dort sei geprägt von Heuchelei, Wortbruch und einer Doppelmoral. Unterschiedliche Maßstäbe würden angewandt. Manche meinen sogar, Vorfälle wie jener in Butscha seien inszeniert. Weiter heißt es, im Dezember 2021 sei Russland an einem Dialog interessiert gewesen, doch US-Präsident Biden habe mit Putin nicht über den Status der Ukraine sprechen wollen. Und nun leite die Europäische Union mit der Auskopplung Russlands als wichtigsten Rohstofflieferanten die wirtschaftliche Selbstzerstörung ein.

Andere zitieren aus einem Papier zum „Projekt für das neue amerikanische Jahrhundert“, erschienen im Jahre 1997, wo es im übertragenen Sinne heiße, was für Amerika gut ist, sei gut für die Welt. Die Ziele der USA sollten, wenn nötig, auch mit militärischen Mitteln erreicht werden, und die UNO und multilaterale Verpflichtungen seien nicht bindend. Zudem gibt es Vergleiche mit der Kuba-Krise. Im Jahre 1962 gewährte Staatspräsident Fidel Castro der Sowjetunion die Stationierung einer Fischfangflotte. Die USA sahen darin eine Täuschung und entdeckten mit Hilfe von Aufklärungsflugzeugen im Oktober 1962 Abschussrampen für sowjetische Mittelstreckenraketen auf der Insel.

Während die einen Waffenlieferungen an die Ukraine als richtig und notwendig erachten, weil dort auch die westliche Wertegemeinschaft verteidigt würde, glauben andere, man wolle Europa vorsätzlich in einen Krieg manövrieren und so schwächen. Nicht selten werden dabei der ukrainische und der US-Präsident als Kriegstreiber bezeichnet. Nach Einschätzung von Frank Umbach, Politikwissenschaftler der Cassis-Universität in Bonn, lässt die Unterstützung für den ukrainischen Präsidenten allerdings nach. Das habe sich vor allem nach seiner Rede in Davos zum Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums gezeigt.

Andere Gebiete in Europa könnten zumindest auf indirekte Weise ebenfalls in den Konflikt hineingezogen werden, wenn zum Beispiel unterschiedliche Auffassungen in verhärtete Positionen übergehen, unbeteiligten Personen eine Stellungnahme abgerungen wird und man anschließend mit dem Einordnen nach dem Für- und Wider-Prinzip beginnt. Schlimmstenfalls entstehen gesellschaftliche Spannungen, die sich in der Öffentlichkeit entladen. Die Gefahr wird dann größer, wenn dem Krieg eine Versorgungskrise folgt und die Schuldfrage gestellt wird.

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