WAS DIE DDR ÜBER DEN KLIMAWANDEL LEHRTE

Mit Veränderungen des Klimas, anthropogenen Einflussfaktoren und möglichen Interventionen beschäftigte man sich im früheren politischen Osten intensiver als heute gemeinhin angenommen. In Büchern der 1950er Jahre wird bereits eine Klimaerwärmung beschrieben und mit dem vom Menschen ausgestoßenen CO₂ in Verbindung gebracht.

So enthält das Lehrbuch „Grundzüge der allgemeinen physischen Erdkunde“ von 1959 auf Seite 14 einen Abschnitt mit dem Titel „Klimaveränderungen“. Schülern der neunten Klasse wurde damals erklärt, dass sich „das Klima im Gebiet unserer Heimat in unendlich langen Zeiträumen ständig gewandelt hat“. Mit einigen Worten wird die erdgeschichtlich noch nicht weit zurückliegende Eiszeit beschrieben, um dann ausführlicher auf Veränderungen in der Gegenwart aufmerksam zu machen:

„Unser Klima wird allmählich wärmer, vor allem werden die Winter milder. Im Nordpolarmeer sind die Eismassen viele Kilometer zurückgewichen. Das Wasser des Eismeeres hat sich erwärmt, so daß die Fischschwärme und die Meeressäugetiere weiter nach Norden in die Gebiete des Mischwassers ziehen. Diese geringfügigen Änderungen wirken sich bereits auf den Fischfang und auf das Leben der Eskimos in erheblichem Maße aus. Es ist möglich, daß es sich bei der augenblicklichen Erwärmung nicht um eine Klimaänderung, sondern um eine Klimaschwankung handelt, die zu einer späteren Zeit wieder zurückgeht. Die Entwicklung der Natur steht niemals still. Die Wissenschaft wird auch die Ursachen dieser Veränderungen und Schwankungen des Klimas noch erforschen.“

Nachfolgend wird erklärt, dass sich früher durch planloses Abholzen der Wälder das Klima ganzer Länder verschlechterte, und man heute in den sozialistischen Staaten bemüht sei, es wieder zu verbessern. Erwähnt werden Bewässerungssysteme und Anpflanzungen in Regionen der Sowjetunion und der DDR sowie Pläne, das Klima größerer Gebiete zu verbessern.

Das Buch „Wissenschaft und Menschheit 1986“ geht noch wesentlich detaillierter auf klimatische Veränderungen ein. Es enthält unter anderem eine „Diagnostik der Wüstenbildung“, erstellt von den sowjetischen Wissenschaftlern Agadshan Geldijewitsch Babajew und Igor Sergejewitsch Sonn. Zu dieser Zeit blickte man bereits sorgenvoll auf die rasche Ausbreitung der Wüsten und wünschte sich eine internationale Zusammenarbeit, um sie in blühende Gärten und Getreidefelder verwandeln zu können. Weiterhin werden dort „Die natürlichen Eismassen des Planeten Erde“ behandelt. Dieses Kapitel stammt von Wladimir Michajlowitsch Kotljakow, dessen wissenschaftliche Laufbahn dem Text vorausgeht. Auf Seite 94 ist zu lesen:

„Nach Daten, die in vielen Ländern gesammelt wurden, ist der Spiegel der Weltmeere in den letzten 250 bis 300 Jahren mit einer mittleren Geschwindigkeit von 1 mm/Jahr angestiegen. Seit Beginn unseres Jahrhunderts gewinnt dieser Prozeß an Tempo, die Anstiegsgeschwindigkeit hat bereits 1,5 mm/Jahr erreicht, das entspricht einer jährlichen Zunahme der Ozeanwassermassen um 540 km³. Wahrscheinlich ist dieser Anstieg des Spiegels der Ozeane mit dem Massenrückgang der antarktischen Gletscherkappe verbunden, doch diese Annahme bedarf noch des Beweises. Unbezweifelt bleibt nur, daß die gewaltigen Spiegelschwankungen durch Variationen der Vereisung ihrer Ausmaße auf der Erde bestimmt wurden.“

Im Nachfolgenden Text wird dann näher auf Klima- und Gletscherschwankungen der vergangenen Jahrhunderte eingegangen. Erwähnt wird auch eine „für das 20. Jahrhundert charakteristische Zunahme des CO₂-Gehalts in der Atmosphäre“, die sich „vorerst noch nicht auf den normalen Gang der globalen atmosphärischen und der Gletscherprozesse auswirkt“. Zum damaligen Zeit kannte man vier Eiszeitalter und wusste um das sehr warme Klima zwischen diesen erdgeschichtlich kurzen Abschnitten der Vereisung.

Der sowjetische Wissenschaftler Wladimir Michajlowitsch Kotljakow blickt in seiner „Glazialen Prognose“ dann auf die kommende Zeit und schreibt:

„Die terrestrischen Schnee- und Eismassen der Zukunft hängen von der Klimaentwicklung in den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten ab. Eine wichtige Besonderheit des Erdklimas besteht in seiner natürlichen Veränderlichkeit, die einen naturbedingten zyklischen Charakter besitzt. Aber in unserer Zeit gewinnt die Rolle der anthropogenen Faktoren in der Klimaänderung wachsendes Gewicht. Die Komponenten der anthropogenen Einflußnahme sind wichtig für das Schicksal der natürlichen Eismassen: die Zunahme der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre infolge Verbrennung organischer Brennstoffe; die Abnahme der Athmosphärentransparenz, hervorgerufen durch Staub industrieller und landwirtschaftlicher Herkunft; direkte Wärmefreisetzung im Laufe der Wirtschaftstätigkeit der Menschen.

Der Einfluß des letztgenannten Faktors dürfte sich in den nächsten 100 Jahren noch nicht so stark ausprägen, aber die beiden erstgenannten wirken sich schon heute auf den Wärmezustand der Erdatmosphäre aus. Wachsende Kohlendioxidgehalte erzeugen in ihr den Treibhauseffekt: Freies CO₂ läßt die Sonneneinstrahlung durch, absorbiert jedoch die Wärmestrahlung der Erde, staut sie auf und erhöht so die mittlere Globaltemperatur. In entgegengesetzter Richtung wirkt Staub. Staubteilchen gewöhnlicher Größe halten sehr effektiv das Sonnenlicht zurück, sie bremsen jedoch in geringem Grade die Wärmestrahlung der Erde. Eine Zunahme der Verstaubung der Atmosphäre kann also zur Herabsetzung der Globaltemperatur beitragen. Man studiert ‘Szenarien‘ für zwei künftige Klimaveränderungen und Vereisungen: Erwärmung und Abkühlung. Einer dieser beiden Varianten den Vorzug zu geben, hält man vorerst für unmöglich. Nach vielen Daten ist aber die Zunahme des CO₂-Gehalts in der Atmosphäre besonders gefährlich. Steigt die CO₂-Konzentration auch nur noch um 10 %, dann erhöht sich die Globaltemperatur um 0,3 °C. Man nimmt an, daß der CO₂-Gehalt der Atmosphäre bis zum Jahre 2000 um 25 % zunimmt, verglichen mit diesem Wert unseres Jahrhunderts, in 100 bis 150 Jahren aber dürfte dieses Niveau um das Vier- bis Achtfache übertroffen sein. Nach einigen Berechnungen führt eine derartige Tendenz bereits im ersten Viertel des 21. Jahrhundert zu einem Anstieg der mittleren Globaltemperatur um 1 bis 1,5 °C. Hinzu kommt, daß sich dieser Mittelwert in hohen Breiten infolge der ‘polaren Verstärkung‘ im Vergleich zu den mittleren Breiten vermehrfacht.“

Kartenskizzen auf den Seiten 116 und 117 zeigen, wie die Erde ohne Gletscher aussehen würde. Demnach wäre der nördliche Teil Deutschlands mit Wasser bedeckt. Aus Sauerstoffisotopenanalysen von Eisbohrkernen einer Tiefbohrung in Grönland werden natürliche Klimazyklen und Temperaturfluktuationen mit Amplituden bis zu 1,7 °C in den vergangenen 800 Jahren hergeleitet. Auf Grundlage extrapolierter Daten vermutete man, dass die Abkühlung der 1960er und 1970er Jahre in den nächsten zehn Jahren abklingt und ein vierzigjähriger Halbzyklus der klimatischen Erwärmung folgt. In dem Buch heißt es hierzu auf Seite 118:

„Diese natürlichen Schwankungen werden sehr wahrscheinlich noch durch eine starke anthropogene Erwärmung vergrößert, hervorgerufen vom Treibhauseffekt. Als Folge dürfte die mittlere Globaltemperatur am Ende des ersten Viertels des 21. Jahrhunderts um etwa 2 °C ansteigen, ein Niveau, das im letzten Jahrhundert noch nie erreicht wurde.“

Man hielt ein Verschwinden der polaren Gletscherkappe der Arktis in einigen Jahrzehnten für möglich. Das in heutiger Zeit weithin bekannte Diagramm mit der stark nach oben ansteigenden Temperaturkurve findet man in dem Buch auf Seite 118. Die X-Achse reicht von 1800 bis in die 2000er Jahre, die senkrechte Y-Achse von minus 0,4 °C bis 1,2 °C. Allerdings gibt das Buch zu bedenken, dass es sich nur um eines der Szenarien für die glaziale Entwicklung in naher Zukunft handelt, und erlaubt ausdrücklich auch die Infragestellung der Erderwärmung:

„Gewiss kann man an der Richtigkeit der Hypothese über die schnelle Zunahme des CO₂-Gehalts in der Atmosphäre zweifeln und annehmen, daß CO₂ in großen Mengen vom Ozean absorbiert wird. Auch fehlen und vorerst noch Methoden, nach denen man natürliche Temperaturänderungen von anthropogenen trennen könnte. Wir brauchen sie aber, um künftige Klimaänderungen zu prognostizieren.

Nach paläoglaziologischen Daten zu urteilen, unterlagen die Eis- und Gletscherdecken in der Antarktis und in Grönland auch während der letzten großen Zwischeneiszeit, die um 1 bis 2 °C wärmer war als gegenwärtig, keiner allzu starken Reduktion. Deshalb besteht Grund zur Annahme, daß die beiden mächtigen gegenwärtigen Gletscherschilde lange erhalten bleiben werden, auch wenn sich die Globaltemperatur erhöht.“

„Die Erweiterung der Ablationsgebiete, der Anstieg der Eistemperatur, die Abnahme der Gletscherflächen und die Zunahme der im Ozean driftenden Eisberge“ werden jedoch als warnendes Signal verstanden, das den Beginn der „Zerstörung der Haupteisvorräte auf unseren Planeten“ anzeigt.

Nachfolgend erklärt das Buch im Kapitel über die natürlichen Eismassen des Planeten Erde auch das gegenteilige Szenario, wonach sich die Abkühlung der 1970er Jahre fortsetzt, wobei dieser Abschnitt relativ kurz gefasst ist. Ein Bild zeigt das sowjetische wissenschaftliche Observatorium Mirny in der Küste der Ostantarktis.

Einige bibliografische Empfehlungen zum Thema gibt das Buch am Ende der Abhandlung. Die Auflistung enthält unter anderem das Werk „Droht eine nächste Eiszeit?“, welches 1985 beim Urania-Verlag erschien. Beide Klimaszenarien werden in Betracht gezogen, wobei man eine globale Erwärmung offensichtlich für wahrscheinlicher hielt. Das lassen auch die nachfolgenden Seiten erkennen, welche sich mit der Ausbreitung der Wüsten beschäftigen. Im Text auf Seite 123 ist bereits von einer „ökologischen Krise“ die Rede. „Der wissenschaftlich-technische Fortschritt, die Zunahme der Erdbevölkerung und die Aktivierung aller Sphären menschlicher Tätigkeit haben die Situation entscheidend verändert“, schreiben die Autoren Agadshan Geldijewitsch Babajew und Igor Sergejewitsch Sonn und warnen vor einem zunehmenden Druck auf die natürlichen Ökosysteme.

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