
Heutzutage wird der Begriff „Volk“ weitgehend gemieden. Man spricht von der „Bevölkerung“, „Bundesbürgern“ oder den „Menschen in Deutschland“, um einerseits möglichst viele Menschen unterschiedlicher Identität, Kultur und Herkunft ansprechen zu können, und um andererseits nicht die Vorstellung vom Volk als eine geschlossene, der Regierung gegenüberstehende Gruppe zu fördern.
Die AFD und regierungskritische Protestgruppen verwenden den Begriff aber recht häufig und stehen deshalb im Verdacht, genau das Gegenteil erreichen zu wollen. Aus Sicht des beobachtenden Bundesamtes verfolgt die Partei verfassungsfeindliche Ziele. Diese behördliche Einschätzung ist jedoch keine gerichtliche Feststellung.
Beatrix von Storch, stellvertretende Vorsitzende der AFD-Bundestagsfraktion, legte eine von der Zeitung „Welt“ zitierte Aussage in den ARD-Tagesthemen so aus, dass sie unter die Meinungsfreiheit fällt und sowohl mit dem Programm der Partei als auch mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Es gehört mehr dazu, Deutscher zu sein, als einfach nur eine Staatsbürgerurkunde in der Hand zu haben. Uns alle hier verbindet viel mehr als eine gemeinsame Sprache. Und verbindet ein unsichtbares Band, was man nicht erklären muss.
Das soll AFD-Bundesvorstandmitglied Hannes Gnauck in Brandenburg geäußert, und in diesem Zusammenhang auch von einem Naturgesetz gesprochen haben.
Mit Zitaten dieser Art begründet das Bundesamt für Verfassungsschutz die Einstufung der Partei als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“. Einzelne Journalisten konnten das dazugehörige Gutachten einsehen.
Damit konfrontiert, sagte Beatrix von Storch am 2. Mai 2025 in den ARD-Tagesthemen, die AFD wolle, dass ausgesucht werden kann, wer zu Deutschland passe und die deutsche Staatsbürgerschaft erhalte, und wer nicht, weil alle deutschen Staatsbürger hinterher die gleichen Rechte hätten.
Der AFD wird aber vorgeworfen, einen ethnisch-kulturellen Volksbegriff zu vertreten, der auf eine Identität basiert, also nicht einfach Staatsbürger meint, sondern wieder eine kulturelle und ethnische Herleitung beinhaltet.
Doch das wird als veraltet angesehen und mit Verweis auf das Grundgesetz sogar als verfassungsfeindlich eingestuft — obwohl in dem Gesetzeswerk auch Beschreibungen zu finden sind, die eine andere als die heute übliche Definition implizieren. Denn laut Artikel 116 ist ein Deutscher nicht nur jemand, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Es gehört auch dazu, wer als „Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat“. Das setzt für manche kulturelles und zugleich ein ethnisch-abstammungsmäßiges Volksverständnis voraus.
Tatsächlich unterschied man früher zwischen „Reichsdeutschen“ und „Volksdeutschen“. Diese Begriffe wurden mit der Entstehung des Deutschen Kaiserreich im Jahre 1871 relevant und waren vor allem im 20. Jahrhundert, insbesondere während der Zeit des Nationalsozialismus, prägend.
Volksdeutsche waren Personen deutscher Abstammung, die außerhalb des Deutschen Reiches lebten und meist die Staatsangehörigkeit eines anderen Landes besaßen. Entscheidend für die Einstufung als Volksdeutscher waren nicht nur die Abstammung, sondern auch kulturelle Merkmale wie Sprache, Erziehung, Selbstbekenntnis und Verhalten. Volksdeutsche galten als „zum deutschen Volk gehörend“, ohne Reichsbürger zu sein, und unterschieden sich so von den „Reichsdeutschen“, die im Deutschen Reich lebten und dessen Staatsangehörigkeit besaßen.
In jüngster Zeit wurden Bestrebungen verstärkt, die diese Denkweisen zu überwinden suchen. Man forderte Bekenntnisse zur freien Gesellschaft, zur Demokratie, zu verschiedenen Grundwerten, und verstand das Volk als die Bewohner eines frei zugänglichen Gebietes, die bis auf die Bekenntnisse keine Gemeinsamkeiten haben und keine Leitkultur benötigen. Damit handelt es sich im Grunde um die Mitgliedschaft in einer offenen Gruppe, in die man nach Belieben ein- und austreten kann, und deren Denkrichtung dann durch die jeweilige Mehrheit bestimmt wird. Abstammungsbezogene Begriffe, die einstmals für bestimmte Rechte und Vermögen wichtig waren, somit vor allem für die persönliche wirtschaftliche Existenz, haben an Bedeutung verloren — was letztlich auch dem Ausbau der Sozialsysteme geschuldet ist.
Das Bedürfnis nach Identifikation mit einer Gruppe und Abgrenzung zu anderen Gruppen bleibt jedoch bestehen. Folglich bilden sich Subkulturen mit äußerlich erkennbaren Unterschieden sowie eigenen Werten, Normen und Lebensstilen heraus, die die Identität und Zugehörigkeit innerhalb der jeweiligen Subkultur stärken. Und es entstehen Gegenbewegungen, durch die sich vor allem Jugendliche angesprochen fühlen. Sie befinden sich einerseits in einer Phase der Identitätsfindung und erleben gleichzeitig, wie ihre kulturelle Großgruppe, die ursprünglich den ganzen Staat dominierte, immer kleiner wird. Diese Gemengelage kann langfristig zu Konflikten führen, wodurch eine in sich zerstrittene Gesellschaft entsteht.
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