
Der Holzschnitt gehört zu einer losen Folge von „Köpfen“, die der Maler und Graphiker Reinhard Hilker während seiner Studienzeit am Bauhaus Weimar ab dem Jahr 1919 schuf.
In wenigen, expressiven, geometrisch-geradlinigen Schnitten gelingt es ihm, die wesentlichen Züge des Porträtierten Friedrich Nietzsche (1844-1900) herauszuarbeiten. Die druckenden Stege zeigen die inneren Konturen der Gesichtszüge des Dargestellten fast schematisch und verstärken damit den Ausdruck. Er behauptete selbst, die Arbeit „auf dem Wege des abstrakten Expressionismus hergestellt u. eigenhändig in nur 10 Exemplaren gedruckt” zu haben. Nachdem der Holzschnitt von den Künstlern der „Brücke” und des „Blauen Reiter” zu Beginn des Jahrhunderts wiederentdeckt wurde, gehörte die Technik nun an der Druckwerkstatt des Bauhauses zu den Lehrinhalten.
Der Künstler stammte aus Hagen, wo er bereits von 1914-18 die Städtische Gewerbliche Fortbildungsschule (Hagener Malerschule) besucht hatte. Förderung erfuhr er vom Hagener Mäzen und Museumsgründer Karl-Ernst Osthaus (1974-1921) und von dem Maler Christian Rohlfs (1849-1938), dessen Atelier sich im Museum Folkwang in Hagen befand.
Hilker sah in der Werkstatt des Bildhauers Will Lammert (1892-1957) in Hagen das Bauhaus-Manifest mit dem berühmten Feininger-Holzschnitt der Kathedrale und konnte mit der Unterstützung von Osthaus und der Empfehlung von Rohlfs das Studium am noch jungen Bauhaus in Weimar aufnehmen. In seiner Bewerbung heißt es:
„Ich habe den Wunsch Karikaturenzeichner zu werden und glaube durch Prof. Feininger den erwünschten Unterricht zu bekommen.”
Er besuchte den Vorkurs bei Johannes Itten (1888-1967) und ließ sich bei Lyonel Feininger (1871-1956) in der Druckwerkstatt des Bauhauses ausbilden. Am 9. Februar 1920 schrieb er an Elisabeth Förster-Nietzsche (1846-1935), der Schwester und Nachlassverwalterin des Philosophen einen Brief mit der Bitte, ihr die Arbeit vorzulegen. Daraus kann geschlossen werden, dass es sich eindeutig um das Blatt „Kopf Nietzsche” handelt. Das geschah wohl auch, um weitere Unterstützung einzuwerben, denn nach einem Jahr verließ Hilker Weimar, weil er das Studium nicht weiter finanzieren konnte.
Zur Folge der Köpfe gehören weiterhin Blätter wie Christus, Krieger, Javanerin, Rohlfs, ein Selbstbildnis und weitere Arbeiten. Sie sind Zeugnis für die Kreativität freisetzende Atmosphäre am Bauhaus in der Zeit der frühen Weimarer Republik. Nach Hagen zurückgekommen, hält er sich mit dem Zeichnen von Karikaturen und heimatlicher Druckgraphik über Wasser, erreicht aber nie wieder die Höhe seines Schaffens in der Jugendzeit.
Das Blatt kam zusammen mit der Erwerbung eines Konvoluts von Arbeiten Theodor Boglers (1897-1968) und Gerhard Marcks (1889-1981) mit der Unterstützung der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen in unser Haus. Es stammt aus dem Nachlass von Bogler, einem Kommilitonen Hilkers am Weimarer Bauhaus. Sie besuchten gemeinsam den Unterricht bei Itten und Feiniger.
1994 wurde in Gera in der Ausstellung „Blätter aus Dornburg” die Tätigkeit von Marcks und Bogler an der Keramikwerkstatt des Bauhauses in Dornburg/Saale thematisiert. Hier war dieses Blatt zuletzt unter dem schlichten Titel „Gesicht” zu sehen.
TEXT: DIRK HOFFMANN
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