
Wie in der Corona-Zeit, wo zum „Kampf gegen das Virus“ geblasen wurde, gibt es wieder eine Situation, in der von den Bürgern eine Mitmachbereitschaft erwartet wird, die deutlich über der Freiwilligenquote liegt. Werden die gesetzten Ziele nicht erreicht, drohen Maßnahmen, die die Freiheit des Einzelnen einschränken.
Gemäß den auf dem Nato-Gipfel 2025 in Den Haag beschlossenen Fähigkeitszielen soll die Bundeswehr mittelfristig auf 260’000 aktive Soldaten und 200’000 Reservisten heranwachsen. Damit fehlen derzeit etwa 77’000 aktive Soldaten und 145’000 Reservisten. Zwar melden sich mehr Freiwillige als vorher, doch der Aufwuchs verläuft viel zu langsam. Deshalb sind neue Modelle im Gespräch, über die jährlich zehntausende Wehrdienstleistende gewonnen werden können, die später in die Reserve übergehen.
Das bedeutet, der Anschein von Freiwilligkeit kann bestenfalls solange aufrecht erhalten werden, bis die maximale Zahl derer, die sich überzeugen lassen, abgeschöpft ist. Für diese Taktik wird im Grunde nur noch ein passendes Modell gesucht. Ein Losverfahren, wie es unlängst im Gespräch war, erinnert jüngere Menschen zu sehr an den Film „Die Tribute von Panem“. Aus einer ablehnenden Haltung heraus wurde auch von einer Wehrdienst-Lotterie gesprochen. Das Los entscheidet über die weitere Existenz, und schlimmstenfalls über Leben und Tod.
Das Gefühl einer Bedrohung ist in der breiten Masse trotz der vielen Berichte über Russland Aktivitäten kaum vorhanden. Was Politik und Medien vermitteln, wird ohnehin zunehmend mit Skepsis betrachtet. Die ausbleibende Begeisterung für den Dienst an der Waffe und das fehlende Verständnis für die „Verteidigung des Landes“ haben aber noch tieferliegende Gründe.
In den vergangenen Jahrzehnten wurde den Deutschen der Krieg als ein Gespenst der Vergangenheit vermittelt. Schülern brachte man eine globale Sichtweise bei, zu der es gehörte, das Denken in „Nationen“ zu überwinden. In Kategorien, wie sie früher für das Erschaffen von Feindbildern nötig waren, lassen sie sich nicht mehr hineindrängen. Das Reisen hat den Kontakt mit unterschiedliche Kulturen ermöglicht, und man hat sie gelehrt, insbesondere fremden Menschen respektvoll zu begegnen. Was sie von der Politik erleben, steht den zuvor in der Schule vermittelten Problemlösungsstrategien völlig entgegen. Dort lernt man, auf Deeskalation zu setzten und Konfliktgespräche zu führen. Etwas mit einer Waffe zu verteidigen, käme ihnen nicht in den Sinn.
Die „Nation“ hat also nicht mehr die nötige Zugkraft, ebenso wie die in der Krise befindliche Demokratie, sodass überwiegend Leute kommen, die ihr individuelles Bedürfnis nach Gemeinschaft befriedigen wollen oder sich im zivilen Leben aus eigener Kraft nicht halten können.
Eine Gemeinschaft im früheren Sinne, die Ziele und Strukturen vorgibt, weil eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu erfüllen war, vermissen aber nur noch wenige Menschen. Die freie, individuelle Entfaltung galt bislang für die Lebensgestaltung als die höchste Maxime. So gesehen sind die jungen Menschen von heute das Ergebnis einer gutgemeinten Erziehung der vergangenen Jahre, die Abstand nehmen wollte von allem, was vorher war.
Wer aber im Ernstfall auf das Grundgesetzt hofft, dürfte jäh enttäuscht werden. Die Verweigerung des Dienstes an der Waffe bleibt zwar weiterhin möglich, doch nur wenige werden die entsprechende Passage für sich in Anspruch nehmen können. Es müssen triftige Gründe vorliegen, zum Beispiel religiöse, um nicht verpflichtet zu werden. Die bloße Angst um das eigene Leben reicht im Kriegsfall nicht mehr aus. Junge Menschen könnten sich dann fragen, warum sie eine Demokratie verteidigen sollen, die sich gerade ins Gegenteil verkehrt und allem widerspricht, was sie damals in der Schule gelernt haben.
Der vielzitierte Satz „Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin“ drückt für Pazifisten, von denen es mittlerweile mehr denn je gibt, die Hoffnung aus, dass ein Krieg spätestens mit Verweigerung aller, am Kampf teilzunehmen, scheitern könnte. Angehende Bäcker, Elektroniker, Schlosser, Dachdecker, die wider Willen zu bewaffneten Befehlsempfängern werden, haben im Ernstfall aber keine andere Wahl — sonst werden sie höchstwahrscheinlich selbst getötet. Die Frage ist nur, von wem. Sollte der Krieg wirklich kommen, kann es, ganz gleich, wer ihn beginnt, zunächst Szenen wie in der Ukraine geben. Wehrfähigen Verweigerern wird auf der Straße aufgelauert, um sie an die Front zu deportieren, wo jede Woche mehrere Tausend Soldaten sterben.
Die unbequeme Wahrheit ist, dass ein großer Teil als Kanonenfutter oder für perfide Taktiken gebraucht wird. Eingesetzt für Verzögerungsgefechte, Scheinstellungen, Scheinfronten, sind sie quasi zum Abschuss freigegeben, während kleinere Truppen einen Überraschungsangriff versuchen. Floskeln wie die vom „Helden“, der „in treuer Pflichterfüllung“ für sein Land gefallen ist, werden tausendfach übermittelt und dienen meistens nur dem Trost der Angehörigen. Wer weiß, wo er sich auf der Tauglichkeitsskala befindet, kann schon im Voraus abschätzen, wofür ihn sein Vorgesetzter einteilen wird.
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