Im kommenden Jahr ist es wieder soweit: Die Bürger dürfen entscheiden, wer für sie Entscheidungen treffen soll. Es stehen mehrere Wahlen an. Während die parlamentarische Demokratie früher breite Zustimmung fand, wird sie heute immer stärker hinterfragt. Die Zufriedenheit mit den gefassten Beschlüssen nimmt seit geraumer Zeit ab; viele Menschen glauben, dass ihre Interessen nur noch für den Stimmenfang von Bedeutung sind und danach den Regierenden eher im Wege stehen. Bürgerräte, bei denen die Entscheider per Los gewählt werden und die Gesellschaft in ihrer Vielfalt repräsentieren sollen, lösen nicht die von den Initiatoren erhoffte Welle der Begeisterung aus. Denn die heutige Gesellschaft wird als ein Gebilde mit zahlreichen Fehlentwicklung angesehen. Ein Großteil hat für sich schon festgelegt, welche Leute nicht dazugehören und kein Mitspracherecht erhalten dürfen. Sind die Unterschiede bei der Bildung, Kultur und den politischen Ansichten so groß, dass selbst die gemeinsame Mitte für beide Seiten eine undenkbare Entfernung vom eigenen Standpunkt darstellt, grenzt man sich voneinander ab.
Die direkte Demokratie ist nicht vorgesehen, weil sie gewisse Risiken birgt. Die meisten Wähler lassen ihr Sympathiegefühl entscheiden, wenn die Person im Vordergrund steht. Schauspieler und Sportler mit hoher Popularität könnten, wenn sie auf ein neues Betätigungsfeld angewiesen sind, mit Hilfe ihrer früheren Zuschauer in die Politik wechseln, ohne die bisherigen Auswahlmechanismen durchlaufen zu müssen. In Krisenzeiten böte die direkte Wahl wortgewaltigen Rednern beste Karrieremöglichkeiten. Da die Demokratie vom Wohlstand lebt, kommt es im Abwärtsgang zu immer radikaleren Forderungen. Die Treue zum System hält nämlich nur solange wie die Hoffnung auf eine Besserung der persönlichen Lebensumstände. Denn genau dafür arbeitet die Mehrheit im Grunde.
Eine Transformation, wie sie derzeit im Gange ist, sorgt jedoch für Verunsicherung. Alte Gewissheiten lösen sich darin auf. Deshalb orientieren sich immer mehr Menschen an früheren Gewohnheiten und Traditionen. Angesichts des Wandels sind schnelle Entscheidungen gefragt, doch die demokratischen Prozesse dauern vielen Wählern zu lange. Sie beteiligen sich nicht mehr und bleiben zu Hause. Gesteigert wird der Frust dann durch eine “auffordernde Demokratie“, die zum Mitmachen drängt, betreutes Denken anbietet und sogar vertretbare Meinungen bereithält. Auch das wirkt kontraproduktiv; es werden Vergleiche mit der DDR angestellt.
Somit befindet sich die Demokratie in einer schwierigen Situation. Das Vertrauen kehrt nicht zurück, weil die einzelnen Teile der Gesellschaft einander nicht mehr vertrauen. Es gibt zu große Unterschiede und keine gemeinsamen Ideen. Das Schicksal scheint vorherbestimmt, da es für diese Dynamiken kein allgemeines Bewusstsein gibt. Der schnelle Entscheider, ob gewählt oder vorgesetzt, hat jedenfalls seine besten Ausgangsbedingungen in einer Zeit großer Missverhältnisse, schmerzlicher Erfahrungen und fehlender Entscheidungen.

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