DAS RÄTSEL UM DIE ALTE GERAER STADTBURG

Die kolorierte Federzeichnung aus dem Reisealbum des Pfalzgrafen Ottheinrich I. zeigt die Stadt Gera im Jahre 1537. (Stadtmuseum/Ablichtung)

Bis heute ist nicht bekannt, welche Beziehung die einstige Stadtburg und die Burg auf dem Osterstein zueinander hatten. Die Mittelalter-Spezialistin Dr. Christine Müller aus Lindenkreuz beleuchtete am 11. November 2012 im Stadtmuseum in ihrem Vortrag „Gera hus und stat“ die beiden Bauten und ging der Frage nach, welche Burg in den historischen Quellen mit „Burg Gera“ gemeint ist. Residierten die Vögte auf der alten Stadtburg, die im Bruderkrieg 1450 zerstört wurde, oder auf dem Hainberg, wo sich Schloss Osterstein erhob? Warum gab es zwei Burgen auf engstem Raum?

Dr. Christine Müller stammt aus Brandenburg an der Havel. Sie studierte in Halle, promovierte in Jena und spezialisierte sich auf das Mittelalter. Ihre Dissertationsschrift handelte von landgräflichen Städten in Thüringen. Gera war zwar keine landgräfliche Stadt, doch da Dr. Christine Müller nahe Gera wohnt, fiel ihr Blick auch auf diese Stadt.

„Gera hus und stat”, oder in der lateinischen Version „castrum oppidum”, so wird in den urkundlichen Nachrichten seit dem späten 13. Jahrhundert immer wieder die Besitzeinheit von Burg und Stadt Gera zum Ausdruck gebracht – vor allem bei Belehnungen und Verpfändungen. Wie es bei Territorialstädten die Regel war, gehörte zur Stadt Gera im späten Mittelalter eine Burg ihrer Stadtherren.

Obwohl das Gebiet um Gera seit 999 dem Stift Quedlinburg gehörte, wurde die Stadtherrschaft vermutlich von Anfang an durch die Vögte bzw. Herren von Gera, aus der Familie der Vögte von Weida, ausgeübt. Sie waren zunächst mit der Vogtei über die Stiftsgüter und später mit der Burg und Stadt Gera belehnt. Auf der Geraer Burg wohnten und regierten sie. Hier hielten sie Hof und repräsentierten ihre Macht.

Die mittelalterliche Burg Gera ist in einer Vielzahl urkundlicher Zeugnisse ab dem ausgehenden 13. Jahrhundert belegt. Darüber hinaus gibt es mit einer Urkunde aus dem Jahre 1234 eine bemerkenswert aussagekräftige Quelle zur Burg Gera im Besitz der Vögte von Weida. Darin befreit der Naumburger Bischof als zuständiger Diozösan die Kapelle in der Burg Vogt Heinrichs des Älteren vom örtlichen Pfarrzwang. Das bedeutet im einzelnen, dass ein vom Burgherren, dem Vogt von Weida, als Stifter der Kapelle eingesetzter Priester dort für die Burginsassen Gottesdienst halten durfte, und dass diese nicht verpflichtet waren, sich auf dem Friedhof der Geraer Kirche beisetzen zu lassen, sondern ihren Begräbnisort frei wählen konnten. Allerdings ist die Burgkapelle damit nicht, wie in der älteren Literatur gelegentlich zu lesen, eine selbständige Pfarrkirche geworden. Sie wurde lediglich in Bezug auf einzelne Rechte von der Ortspfarrei eximiert. In der Urkunde werden unter anderem Burgmannen erwähnt, die sowohl innerhalb der Burg als auch in der näheren Umgebung wohnten.

Trotz dieser recht ausführlichen Angaben besteht weder bei der Urkunde von 1234 noch bei den zahlreichen spätmittelalterlichen Burgmeldungen Gewissheit über die Frage, welche Burg damit eigentlich gemeint ist. Denn im Stadtgebiet von Gera gibt es zwei mittelalterliche Burgställe, die dafür in Betracht kommen – zum einen den Standort des nach dem Zweiten Weltkrieges beseitigten Schlosses Osterstein auf einem Bergsporn über dem westlichen Elsterufer, und zum anderen das sogenannte alte Schloss in der Südwestecke der Stadt, an der ehemaligen Stadtmauer, östlich der Elster. Beide Areale wurden nach Abrissen in den 1960er und 1970er Jahren großflächig beräumt und neubebaut, wobei die Möglichkeit einer archäologischen Untersuchung dieses Problemes leider nicht wahrgenommen wurde.

Die ältere stadtgeschichtliche Forschung ist mit Bertold Schmidt, dem Nestor der der Vogtländischen Geschichte, und Ernst Paul Kretschmer, dem Stadthistoriker von Gera, zumeist davon ausgegangen, dass es sich bei der Burg Gera in den oben genannten Urkunden um das, natürlich schon damals verschwundene, alte Schloss in der Stadt handelte. Dieses sei vor Gründung der Stadt rechts der Elster angelegt worden und habe die ältere Höhenburg auf der anderen Talseite abgelöst. Berthold Schmidt folgerte seine Annahme, dass Vogtschloss sei das alte Schloss gewesen, aus einer recht gewagten These, nach welcher sich der Quedlinburger Besitz auf das Gebiet rechts der Elster beschränkte und alle Besitzrechte der Weidaer links der Elster angeblich seit 1193 von den Thüringer Landgrafen bzw. sächsischen Pfalzgrafen zu Lehen gingen. Dabei ist schon das Jahr 1193 als Beginn der Lehensabhängigkeit völlig aus der Luft gegriffen. Schmidt bezieht sich damit augenscheinlich auf die nicht erhaltene Stiftungsurkunde des Klosters Mildenfurth aus diesem Jahr, deren Inhalt er aus Gründungsgeschichte des Arnold von Quedlinburg erschlossen hatte. Nach dieser sei der Grund und Boden dieses Klosters landgräfliches Lehen Heinrichs des Reichen gewesen.

Wenngleich man diese Quelle ernst nimmt – obwohl sie durchaus zweifelhaft ist und eine gründliche quellenkritische Untersuchung der Texte Arnolds von Quedlinburg noch aussteht – und davon ausgeht, dass Arnolds Text eine echte Urkunde zugrunde liegt, handelt es sich dabei aber offensichtlich nur um die Auflassung älteren Lehensbesitzes. Das Gebiet wäre demnach nicht erst seit diesem Akt der Klostergründung 1193, sondern bereits vorher landgräfliches Lehen gewesen. Auflassung bedeutet, dass beim Verkauf eines Lehengutes dieses erst dem Lehnsherrn aufgelassen werden musste, damit dieser den neuen Lehnsmann mit dem Gut belehnen konnte.

Im übrigen geht es in der Urkunde von 1193 allein um das Mildenfurter Gebiet, dem der Raum westlich von Gera schwerlich zuzusprechen ist. Schmidts Annahme, die Vögte hätten das Stadtschloss „im beabsichtigten Gegensatz zum Elster- oder Bergschloss erbaut”, gemeint ist der Osterstein, „weil sie dort bei den losen Lehensverhältnissen der Äbtissin von Quedlinburg jedenfalls weit unabhängiger wohnten als im Hoheitsgebiet der mächtigen Landgrafen von Thüringen”, lässt sich aus heutiger Sicht ebenso wenig aufrecht erhalten wie die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen bezüglich beider Burgen.

Schmidts stark rechtshistorisch orientierte, aber kaum quellenfundierte Thesen, wurden mit der kritiklosen Übernahme durch den Geraer Stadtarchivar und Stadthistoriker Ernst Paul Kretschmer gleichsam kanonisiert und bis in die jüngste Zeit beibehalten. So hat sich etwa bei Lothar Kranach, der sich 1966 im Rahmen seiner Dissertation erneut mit der Frühgeschichte Stadt auseinandersetzte, die Überzeugung, die Residenz der Vögte könne nur das alte Schloss gewesen sein, soweit durchgesetzt, dass er den urkundlichen Burgbeleg von 1234 als Beweis für die Existenz des Stadtschlosses ansah, und gar nicht in Betracht zog, dass damit auch der Osterstein gemeint sein könnte. Aber auch einschlägige Publikationen der letzten Jahre, wie das Verzeichnis der Straßennamen von Sigfried Mues oder die Thüringer Denkmaltopografie, weisen die Stadtburg als Residenz der Vögte bis 1450 aus.

Gerhard Willich hat sich allerdings schon vor rund zehn Jahren gegen die von Schmidt postulierte Rolle der Elster als Grenze gewandt. Er leitete jedoch aus der Unrichtigkeit von Schmidts Argumentation ohne Weiteres die Richtigkeit ihrer Negation ab, dass nämlich die 1234 genannte Burg an der Stelle des Ostersteines gelegen haben muss. So eindeutig ist die Lage allerdings nicht. Wenn man die gesammte urkundliche Überlieferung auf die Osterstein-Burg bezieht, muss man sich notwendigerweise der Frage zuwenden, welche Bedeutung das nachweislich seit mittelalterlicher Zeit bestehende alte Schloss hatte, und warum es in den Urkunden nicht erscheint. Natürlich wäre es denkbar, dass die Burg auf dem Osterstein im Mittelalter einen anderen Namen als Gera trug, und deshalb in den Quellen nur von einer Burg Namens Gera die Rede ist.

Der Name Osterstein gilt zwar frühneuzeitliche Neuschöpfung und erscheint erst in einem Druck aus dem Jahre 1580 erstmals, war damals aber schon weithin bekannt. Denn es ist kein Geraer, der darüber schreibt, sondern ein sächsischer Autor, der eigentlich über den Bergbau schreibt und ganz beiläufig erwähnt, dass es Namen in Mitteldeutschland gibt, die auf, so meint er, das Osterland als Region verweisen. Und hier nennt er auch ganz selbstverständlich den Osterstein bei Gera. Der Name könnte demnach also auch deutlich älter sein. Wenn die Burg allerdings tatsächlich seit dem Mittelalter nur Osterstein genannt worden wäre, und nicht Burg Gera, würde das bedeuten, dass tatsächlich alle urkundlichen Nennungen einer Burg Gera auf die Stadtburg zu beziehen wären, und die Osterstein-Burg kein einziges mal erwähnt ist. Denn wie erwähnt ist der Name Osterstein in den mittelalterlichen Quellen nicht zu finden.

Die nachweisbaren Spuren der offenbar bedeutenden Burganlage auf dem Osterstein lassen das allerdings wenig glaubhaft erscheinen – zumal da die Quellenlage, zumindest für das spätere Mittelalter, gar nicht so schlecht ist. Nur ein einziges mal werden Burgen in Gera in der Mehrzahl, also vermutlich zwei, genannt – nämlich im Jahre 1358 in einer Urkunde, die eine Verlehnung „von der stadt und den husen zu gera” durch das Stift Quedlinburg an den Markgrafen von Meißen ankündigt. Dies steht im Zusammenhang mit dem sogenannten vogtländischen Krieg Mitte des 14. Jahrhunderts. Hier zwangen die mächtigen Marktgrafen die Vögte weitgehend unter ihre Lehenshoheit – unter anderem auch mit ihrem quedlinburgischen Besitz in Gera. Mit dem „husen zu gera” dürften hier tatsächlich die Burg in der Stadt und die auf dem Berg gemeint gewesen sein. Schon wenige Wochen nach dieser Ankündigung ist in der Urkunde über die tatsächliche Belehnung wiederum nur von einer Burg die Rede – die Belehnung mit dem „huse und stad zu gera”. Darüber hinaus fehlt bei dieser Belehnungsurkunde, aber auch der in der erstgenannten Urkunde, der Hinweis auf die Vogtei und ein weiteres Lehngut. Es gibt also hier einen inhaltlichen Unterschied zwischen der anfänglich gelobten und der tatsächlichen Belehnung. Diese könnte also offensichtlich auch die zweite Burg aus der ersten Urkunde betreffen, ohne dass eindeutig ist, welche die verliehene und welche die nicht verliehene Burg ist, geschweige denn, welchen besitzrechtlichen Status die nicht verliehene Burg hatte. Immerhin deutet die Urkunde an, dass beide Burgen unter der Lehenshoheit Quedlinburgs standen. Jedoch erklärt auch diese Quelle nicht das Fehlen der zweiten Burg in allen anderen Urkunden.

Abgesehen von den unbewiesenen Thesen der örtlichen Stadtgeschichtsschreibung gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Geraer Vögte jemals die Stadtburg bewohnt haben, und ebenso wenig für die Aufgabe der Nutzung des alten Schlosses nach der Eroberung der Stadt im sächsischen Bruderkrieg 1450. Dass die Stadt und damit wohl auch das Stadtschloss im Oktober des Jahres 1450 belagert und zerstört wurde, steht außer Zweifel. Dies beweist aber nicht, dass das alte Schloss die damalige Residenz der Herren von Gera war.

Gerade die recht umfangreichen Quellen zu jenen Vorgängen liefern Indizien, die auf eine damalige Nutzung der Höhenburg hindeuten. Zu diesen zählt eine böhmische Chronik. Ein böhmisches Heer unterstützte den Herzog Wilhelm im Krieg gegen seinen Bruder, daher ist die tschechische Überlieferung als Zuverlässig anzusehen. Übersetzt steht dort geschrieben: „Hierbei kamen sie dann zu einer Stadt Gera, und über der Stadt zu einer festen Burg gezogen.”

Die Beschreibung der Lage über der Stadt ist für das alte Schloss keineswegs zutreffend, denn dass alte Schloss liegt nicht oberhalb der Stadt, sondern niedriger als der größte Teil des Stadtgebietes. Herzog Wilhelm, der ebengenannte, bat im August 1450, einige Wochen vor der Einnahme der Stadt, die Bürger von Jena als seine Untertanen um Hilfe bei der Vorbereitung einer Belagerung Geras. Den Brief, den er darüber ausstellte, enthält die Zeile „jene im felde ober gera hinter dem slôze”. Dies wird schwerlich, wie die ältere Forschung annahm, auf das alte Schloss zu beziehen sein. Denn wenn Willhelms Heer oberhalb der Stadt gelegen hätte, wäre dies nicht hinter dem Schlosse sondern hinter der Stadt, und zwar auf der dem alten Schloss entgegengesetzten Seite der Stadt gewesen. Das Heerlager dürfte sich also eher auf dem Hainberg, südlich des Ostersteines und gegenüber der Stadt befunden haben. Das angegebene Schloss wäre demnach die Burg auf dem Osterstein. Möglicherweise geht die Überlieferung zur Zerstörung des Stadtschlosses auf Cyriacus Spangenbergs „Mansfeldische Chronica” zurück, nach der das Schloss mit der Stadt angesteckt und verbrannt wurde. Da diese Chronik aber erst einhundert Jahre später verfasst wurde und im Jahre 1572 erschien, kommt ihr ungleich weniger Gewicht zu als den zeitgenössischen Quellen. Eine andere, jüngere und recht ausführliche Quelle bestätigt hingegen die Belagerung der Osterstein-Burg und gibt an, dass diese, im Unterschied zur Stadt, der Belagerung standhielt.

Paulus Iovius schrieb 1622 in seiner „Genealogie oder Stammbaum des uralten, wohladlichen Geschlechts derer von Selmenitz, so innerhalb von vierthalb Hundert Jahren und drüber gelebet”: „Als anno 1450 die Stadt Gera von Herzog Wilhelm zu Sachsen und den Böhmen belagert, erobert, geplündert und in Brand gesteckt worden, da hat dieser Hans mit seinen Söhnen auf dem Schloss Gera außer der Stadt auf einem Berge gelegen, zur Erhaltung desselben dem Feind dermaßen Widerstand getan, dass er dafür abziehen müssen und also das Haus Gera damals ist erhalten worden.” Mit Hans ist hier Hans von Söllmnitz gemeint.

Zu Unrecht hat Kretschmer diese Nachricht als Sage abgetan – wohl nicht zuletzt, weil er irrtümlich Georg Christoph Kreinlich, der den Text 1755, also über einhundert Jahre später, veröffentlichte, für den Verfasser hielt. Paulus Iovius, der sich vor allem mit seiner Chronik der Schwarzburger einen Namen als gewissenhafter früher geschichtlicher Schreiber gemacht hat, verwendete viele später verloren gegangene handschriftliche und archivalische Quellen und kann insofern durchaus als vertrauenswürdig gelten. Immerhin schrieb er vor dem Dreißigjährigen Krieg. Viele handschriftliche originale Quellen, die durch den Krieg verloren gingen, kannte er noch.

Kretschmers Behauptung, die Burg auf dem Osterstein werde vom 13. bis 15. Jahrhundert niemals genannt, stimmt nur dann, wenn man, wie Kretschmer es tut, alle Beläge dieser Zeit von vornherein ausschließlich auf das Stadtschloss bezieht. Die hier vorgestellten Quellen zur Belagerung Geras im Jahre 1450 lassen sich ganz eindeutig dem Osterstein zuordnen. Die Aussage, die dortige Burg wurde bis ins 15. Jahrhundert nie erwähnt, ist also falsch. Den eben zitierten Hinweisen auf die Burg Gera als Höhenburg ist eine Urkunde aus dem Jahre 1315 zur Seite zu stellen, in der ein Geraer Burgmann „Henricus de gera castellanus ibidem castro residens sub eodem“ also „unter selbiger Burg residierend“ genannt wird. Kretschmers Versuch, diesen Burgmannssitz einer von ihm postulierten Oberburg, wie er sie nennt, im Bereich der ehemaligen Straße Häselburg einzuordnen, geht vollkommen fehl.

Kretschmers Ansatz bezüglich der Häselburg ist offenbar allein seiner Prämisse geschuldet, alle Burgbeläge bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts auf die Stadtburg zu beziehen. Es gibt keinerlei Hinweise auf eine mittelalterliche Befestigung im Bereich der Häselburg. Und deren Lage am flach ansteigenden Hang in der heutigen Florian-Geyer-Straße wäre für eine Burg ungünstiger als sie sie schon für das untenliegende alte Schlosse ist. Den einzigen Anhaltspunkt für Kretschmers These liefert offenbar der Straßenname Häselburg. Das ist als Annahme für einer dritten Burg im Stadtgebiet einfach zu wenig.

Der ungewöhnliche abgeknickte Verlauf der heute verschwundenen Gasse lässt vermuten, dass dies ursprünglich eine vom alten Schloss ausgehende Sackgasse war, und das große Eckgrundstück, dass später vom Kornmarkt her erschlossen wurde, ihren Abschluss bildete. Derartige sackgassenförmige Siedlungsbereiche im Umfeld einer siedlungsnahen Burg treten auch in anderen Orten Mitteldeutschlands auf. Und es gibt gewisse Hinweise dafür, dass es sich dabei um ehemalige Burgsiedlungen handelt.

Für eine solche Deutung spricht in Gera der Umstand, dass von den ratslehnbaren Bürgerhäusern der Stadt, die in großer Zahl im ältesten Geraer Stadtbuch aus dem 16. Jahrhundert verzeichnet sind, kein einziges in dem Bereich Häselburg, an der alten Schlossgasse oder beim Klotztor zu finden ist. Das zeigt, dass es dort einen gewissen rechtlichen Sonderbereich innerhalb der Stadt gab, der nicht der Lehnsherrschaft des Stadtrates unterstand. Wenn es also beim alten Schloss überhaupt Burgmannensitze gab, dann allenfalls oberhalb der Burg im besagten Bereich, aber sicher nicht „sub eodem“ wie es in der Urkunde heißt. Denn unterhalb des Schlossen fließt dort lediglich der Mühlgraben.

Möglicherweise ist die Formulierung „catro sub eodem” als erster Hinweis auf die spätere Siedlung Untermhaus anzusehen. „Unterm Haus” heißt nichts anderes als „unter der Burg”. „Hus” oder „Haus” ist die spätmittelalterliche Bezeichnung für Burg – und zwar nicht nur für ein einzelnes Gebäude sondern die ganze Burg. Die Benennung jener Siedlung nach dem spätmittelalterlichen Wort für Burg, nämlich „Hus” und nicht „Burg”, wie man sie bis ins 13. Jahrhundert genannt hätte, und auch nicht „slôz”, wie man solche Bauten ab dem 15. Jahrhundert nennt, könnte für eine suburbium-artige Besiedlung ab dem 14. Jahrhundert oder davor sprechen.

Nicht zuletzt bezeugen auch die Ergebnisse der archäologischen Grabungen auf dem Osterstein eine Nutzung dieses Areals sowie Bautätigkeit im 13. und 14. Jahrhundert. Leider fanden diese Untersuchungen nur im nördlichen Bereich des Bergspornes statt, der wohl als Vorburg anzusprechen ist, sodass die Bauzeit und Nutzungsdauer der Hauptburg um den noch erhaltenen Bergfried weiter unbekannt ist. Der einzig erhaltene Bergfried, der mit rund zehn Metern Durchmesser und einer Mauerstärke von 3,8 Metern von nicht unbedeutender Größe ist, konnte jedoch neuerdings genauer ins mittlere 13. Jahrhundert datiert werden – mithin einer Zeit, für die Kretschmer der Burg jegliche Bedeutung absprach. Man findet zwar in der Literatur die Angabe 12. Jahrhundert, doch dieser liegen keine genaueren Untersuchungen zugrunde. Der Bergfried ist in seinen Ausmaßen mit anderen mitteldeutschen Bergfrieden des 13. Jahrhunderts gut vergleichbar.

Reinhard Schmidt, ein ausgewiesener Kenner der mitteldeutschen Burgenlandschaft, schreibt in einem Aufsatz: „In der Zeit um 1200 bis um 1230 kommen sehr häufig Durchmesser von etwa zehn Metern und Mauerstärken um drei bis fünf Meter vor. Der Rundbogen des Hofeinganges verweist den Bau eindeutig in romanische Zeit.”

Bemerkenswerterweise ist er aber die einzige bauzeitliche Öffnung. Es gibt nichteinmal einen Abort oder Kamin. Dieser völlige Verzicht auf Grundfunktionen ist wohl als Hinweis auf eine relativ späte Bauzeit innerhalb der romanischen Periode zu werten. Denn der Burgenforscher Yves Hoffmann weist in seinem Aufsatz „Zur Datierung von Wohntürmen und Bergfrieden des 11. bis 13. Jahrhunderts auf sächsischen Burgen“ u. a. auf immer kleiner werdende Innendurchmesser der Rundtürme als Datierungskriterium hin. Mit unter drei Metern auf der gesamten Höhe des Turmes ist der Innendurchmesser des Ostersteinbergfriedes sehr gering. Auch die Form des Kreuzgewölbes, das ursprünglich das hochgelegene Eingangsgeschoss trug, passt in die Mitte des 13. Jahrhunderts. Aufschlussreich ist schließlich der überlieferte Grundriss der Kapelle, die in den neuzeitlichen Bau des Schlosses Osterstein einbezogen wurde. Die Kapelle wurde, wie fast alle anderen Hallen des Schlosses, in den 1960er Jahren vollständig abgetragen. Übrig blieben der Bergfried und einige Bauten der Vorburg. Der Grundriss der Kapelle zeigt aber nicht nur, dass dieser Bau älter ist als der daran anschließende, im Kern vielleicht noch spätmittelalterliche, Nordflügel.

Die Achsen beider Gebäude sind leicht gegeneinander versetzt – erkennbar an den Knick in der Wand, der beide Bauteile miteinander verbindet. Als einfache Saalkirche mit halbrunder Apsis und, entweder einer Westempore oder einem anderen nicht erhaltenen westlichen Abschluss, ist sie sicher auch nicht wie in der aktuellen Denkmaltopografie angegeben, im Kern spätgotisch, sondern offensichtlich romanischen Ursprungs.

Diese Erkenntnis liefert ein bedeutendes Argument dafür, die Osterstein-Burg zumindest mit der 1234 genannten Burg zu identifizieren. Denn die damals genannte Burgkapelle muss eine romanische gewesen sein. Für das alte Schloss ist hingegen keine Kapelle sicher belegt. Ferdinand Hahn hielt zwar einen gewölbten Raum in dem seinerzeit noch stehenden Turm des alten Schlosses für eine Kapelle. Nachvollziehbar ist diese Deutung aber nicht. Wahrscheinlich leitete er dies nur aus dem Gewölbe her. Der beschriebene Bauteil reicht mit Sicherheit nicht bis in das 13. Jahrhundert zurück. Übrigens legt der Gegenstand der Urkunde von 1234 selbst den Bezug auf die Höhenburg nahe.

Die Extension der Burgkapelle von der Ortspfarrei, die sicher in der ehemaligen Johanniskirche in der Stadt zu lokalisieren ist, mit der Abhaltung eigener Gottesdienste und Begräbnisse, erscheint für den in einiger Entfernung von Stadt gelegenen Osterstein allemal sinnvoller als für das alte Schloss in unmittelbarer Nachbarschaft zur einstigen Pfarrkirche.

Andererseits liefern die baulichen und archäologischen Zeugnisse auf dem Osterstein keine Bestätigung für die von Bertold Schmidt aufgestellte und heute weiter verbreitete Vermutung, die dortige Burg sei vor der Mitte des zwölften Jahrhunderts von der Familie der sogenannten Edelfreien von Gera errichtet worden. Denn eine intensive Nutzung und Bebauung ist erst ab dem späten zwölften und 13. Jahrhundert erkennbar.

Außerdem ist keineswegs sicher, dass es jemals ein Adelsgeschlecht von Gera gab. In der Literatur wird im Allgemeinen angegeben, dass Vertreter einer Familie von Gera zwischen 1125 und 1204 bezeugt sind. Bei genauer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass innerhalb dieser rund 80 Jahre, und damit auch zugleich für die gesamte Zeitspanne vor dem Auftreten der Weidaer Vögte in Gera, gerade drei Personen mit einer Zubenennung „von Gera“ in der urkundlichen Überlieferung genannt werden. Sie erscheinen in recht großem zeitlichen Abstand voneinander und lassen keinerlei Rückschlüsse auf verwandschaftliche Beziehungen untereinander zu. Im Jahre 1125 ist es Luph, 1148 Sibert, und wohl Anfang des 13. Jahrhunderts Tuto von Gera. Das genaue Jahr ist nicht bekannt.

Luph bezeugte im Jahre 1125 eine Urkunde des Mainzer Erzbischofs für Saalfeld, und stand damit, soweit erkennbar, in keiner Verbindung zum Ort Gera – außer in seiner Zubenennung. Möglicherweise ist er identisch mit einem zwischen 1118 und 1122 insgesamt dreimal bezeugten edlen Luph oder Lupho aus dem Umfeld des Naumburger Bischofs, der aber dort keine Zubenennung trägt, und vielleicht auch mit Luph von Camburg, der im zweiten Viertel des zwölften Jahrhunderts wiederholt als Zeuge ebenfalls wieder in Naumburger Urkunden auftritt – also im Umfeld des Naumburger Bischofs. Die einzige Erwähnung dieses Luph von Gera liegt also zwischen den beiden, den unbenannten Luph und dem Luph von Camburg. Es wäre somit möglich, dass er kurzzeitig die Zubenennung „von Gera” trug und Gera demnach sein zeitweiliger Wohnsitz gewesen war. Möglicherweise versah er dort Aufgaben im Dienste des Naumburger Bistums, denn die Naumburger Bischöfe waren aus geistlicher Sicht für diese Region zuständig und hatten in dem sogenannten Gau Gera auch Besitzrechte und Einkünfte.

23 Jahre später bezeugt ein Sibert von Gera eine Quedlinburger Urkunde. Somit dürfte er mit dem Quedlinburger Besitz in Gera in Verbindung zu bringen sein. Er könnte aber zu der besser bezeugten Familie von Roben gehören, da er nur zwei Jahre zuvor, im Jahre 1146, einem Sigibert von Robin begegnet. Aus Quedlinburger Perspektive mag das nahe an Gera gelegene Roben durchaus unter der Herkunftsbezeichnung Gera im weiteren Sinne gefasst worden sein, zumal da in Quedlinburg der Name Gera sehr gut bekannt war, der Name Roben wohl kaum.

Ob der über ein halbes Jahrhundert später auftretende Tuto von Gera und seine Frau Radzsche (Hadwiga, Hedwig) vor ihrer Übersiedlung ins Altenburger Bergkloster, das mit dieser Urkunde bezeugt wird, in Gera ansässig waren bzw. welche Stellung sie dort inne hatten, ist nicht zu ermitteln. Eine Beziehung zum Stift Quedlinburg ist nicht nachweisbar. Eine andere Urkunde über den besagten Vorgang, in der Tuto als elder Ritter bezeichnet wird, stellte sich als Fälschung heraus. Weitere Informationen über diesen Tuto gibt es derzeit nicht.

Sicherlich standen die drei Personen in einem Zusammenhang mit dem vogtländischen Gera und zumindest Sibert wohl auch mit Quedlinburg. Der Versuch, sie alle einer sonst nicht belegten Familie „Herren von Gera“ zuzuweisen zu wollen, ist jedoch ausgesprochen weit hergeholt. Er entspringt offenbar Bertold Neigung zur Genealogisierung. Auch verschiedene Ministerialen von Gera, die im 13. Jahrhundert Urkunden der Vögte bezeugen, versucht er einer gemeinsamen Familie zuzuweisen, obwohl sie doch ganz offensichtlich nur einer gemeinsamen Burgmannschaft angehören – nämlich der von Gera.

Über die archäologischen Befunde auf dem Osterstein hinaus ist schließlich darauf hinzuweisen, dass die topografische Lage auf dem langgestreckten steilen Bergsporn für eine herrschaftliche Burg die beste im ganzen weiteren Stadtgebiet ist. Sie bietet einen weiten Blick über das Elstertal – von Langenberg bis Pforten sowie über das gesamte Stadtgebiet in der Talerweiterung. Man blickte auch auf den alten Markt an der Dornaer Straße und konnte ebenso die tief eingeschnittene Hohle und die mit ihr verbundene Elsterquerung in Bereich der heutigen Untermhäuser Brücke überwachen. Sie war auf dem Höhenweg in Richtung Westen vermutlich eher von überörtlicher Bedeutung als die spätere Heinrichsbrücke bei der Stadt.

Darüber hinaus besitzt der Burgplatz eine hervorragende Schutzlage und ausreichend Raum für Vorbefestigung, Versorgungseinrichtungen und Unterbringung von Burgleuten und anderem Personal. Die Burganlage wurde dementsprechend auch seit vorgeschichtlicher, kontinuierlich seit slawischer Zeit, genutzt. Ernst Paul Kretschmer verkannte diese Lagevorteile im Zuge seines Plädoyers für das alte Schloss als Burg der Vögte. „Man sieht eigentlich heute nicht mehr recht ein, warum man gerade hier, abseits der Straßen, eine Feste anlegte”, kommentierte er kopfschüttelnd die Existenz einer Burg, die nicht in sein Deutungsschema paste.

Wenngleich wenn dieser, ungeachtet Kretschmers gegenteiliger Behauptung sehr günstige Bauplatz sicher im gesamten Mittelalter mehr oder weniger stark genutzt wurde, ließe sich doch eine Bautätigkeit ab dem späten zwölften Jahrhundert recht gut mit dem Beginn der Aktivitäten der Weidaer in Gera in Verbindung bringen. So werden ab 1209 Zeugen von Gera in den Urkunden der Vögte von Weida genannt, die wohl als Burgmannen anzusprechen sind. Im Jahre 1234 ließ Heinrich von Gera die Kapelle seiner Burg, die möglicherweise gerade erst neu erbaut worden war, von der Ortspfarrei exemieren. Und schließlich wurde Gera zur Stadt erhoben, zwar unter der Oberherrschaft des Stifts Quedlinburg, aber sicher unter maßgeblicher Beteiligung, vielleicht sogar auf Initiative der Vögte von Weida, im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts.

Viele Gründe scheinen dafür zu sprechen, die Burg der Vögte als Geraer Stadtherren in der Höhenburg auf dem linken Elsterufer zu suchen. Dabei bleibt aber die Frage, welche Funktion in diesem Falle die alte Anlage in der Stadt hatte, offen. Bereits im frühen 16. Jahrhundert als „altes Schloss“ bezeichnet, ist dies der einzige historisch überlieferte Name für die Stadtburg. Dass es sich bei diesem Bau um eine mittelalterliche Befestigung handelte, die der Bezeichnung Burg gerecht wurde, ist nicht zu bezweifeln. Sie war zwar in die Stadtumgebung integriert, wie noch auf einem Plan des frühen 19. Jahrhunderts zu erkennen ist, von dieser aber doch deutlich abgegrenzt – ursprünglich wohl sogar mit einem Wassergraben. Ferdinand Hahn berichtet Mitte des 19. Jahrhunderts, dass auf den hohen Stücken östlich des alten Schlosses bei Erdarbeiten eine fünf Ellen tiefe Schicht Schlamm gefunden worden sei, sowie starke Pfähle und Zaunflechtungen, welche augenscheinlich der Befestigung und Stabilisierung dienten. Das alte Schloss besaß starkes Mauerwerk, wie die Ende des 19. Jahrhunderts noch erhaltene Bausubstanz erkennen lässt, und mindestens zwei Mauertürme.

Auf der Zeichnung von 1537 (siehe Titelbild) ist ein Turm zu sehen, der von der Lage her nur innerhalb des alten Schlosses zu lokalisieren ist – nämlich zwischen dem linken Turm, der das Klotztor markiert, und der damals noch bestehenden Johanniskirche. Der dort abgebildete Turm ist allerdings eindeutig eckig, während die im folgenden zitierte, fast zeitgleiche Schriftquelle von schebeligten, also runden Türmen spricht. Der sogenannte pirnaische Mönch beschreibt ihr Erscheinungsbild am Ende des Mittelalters, um 1530: „…in der Stat ein Schloß, als wie es noch stück mauer und zubrochene schebeligte torme hinter der Pfarr vorhanden.” Er ist übrigens der erste, der deutlich zwischen beiden Burgen unterscheidet und den Osterstein als den damaligen Wohnsitz der Stadtherren ausweist. Es heißt bei ihm: „…welche Herrn halten zum Teil ihr Hofgelege auf einer furstlichen Burg gegen der Stat über der Elster an einem Berge.”
Zugleich belegt seine Nachricht, dass das alte Schloss spätestens im 15. Jahrhundert mit großer Sicherheit bestanden hat, und es um 1530 bereits verfallen war. Es gibt darüber hinaus auch eine schriftliche Erwähnung aus dem letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts, in der auch von einem alten Schloss die Rede ist.

Dieser Plan aus dem Stadtarchiv zeigt den Grundriss der Altstadt um das Jahr 1820.
Dieser Plan aus dem Stadtarchiv zeigt den Grundriss der Altstadt um das Jahr 1820.

Welche Funktion hatte diese Stadtburg? Es ist nötig, in diesem Zusammenhang die Topografie und Entstehungsgeschichte der Stadt genauer ins Auge zu fassen. Auch hier weist die örtliche Stadtgeschichtsschreibung noch große Defizite auf. Zunächst ist die Lage des alten Schlosses nicht ganz so charakteristisch für eine Stadtburg, wie dies auf dem ersten Blick im Grundriss erscheinen mag. Zwar liegt sie in typischer Weise in einer Ecke der etwa viereckigen Stadtbefestigung, jedoch keineswegs an der dafür geeignetsten Stelle. Diese befand sich eindeutig an der diagonal entgegengesetzten nordöstlichen Stadtmauer-Ecke. Dort wurde nämlich mit dem Nicolaiberg ein Bergsporn noch eben in die Stadt einbezogen, der unmittelbar oberhalb der wichtigsten Straßenkreuzung im Stadtgebiet liegt, deutlich erhöht und damit geradezu prädestiniert ist, eine Stadtburg zu tragen.

Außer der namensgebenden Nicolaikapelle, die nach dem Stadtbrand 1686 nicht wieder aufgebaut wurde, und über die wenig bekannt ist, befanden sich in dieser bevorzugten Lagen in der frühen Neuzeit lediglich zwei Freihöfe – das später sogenannte Schreibersche und das nicht erhaltene Richtersche Haus. Vielleicht handelte es sich um ehemalige Burggüter. Das alte Schloss hingegen stand auf der viel tiefer gelegenen Westseite der Stadt – ohne Schutzlage. Zudem war es weit von den wichtigen Durchgangsstraßen wie dem Steinweg oder der Weidaer Straße, entfernt. Die Brücke über den Mühlgraben, der am alten Schloss vorbei floss, befand sich weiter im Norden. Und das nahe dem Schloss gelegene Klotztor war wohl das unbedeutendste der ganzen Stadt. Es erschloss lediglich den Bereich der davorgelegenen Klotzmühle. Es scheint nahezu ausgeschlossen, dass das alte Schloss in dieser Lage als Stadtburg im Zuge einer planmäßigen Stadtgründung angelegt wurde. Es muss deshalb entweder deutlich jünger oder aber älter als die Stadtanlage gewesen sein. Die Möglichkeit, dass die Burg erst nachträglich in die Stadt gebaut wurde, als günstigere Bauplätze bereits besetzt waren, ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Es gibt dafür Beispiele, z. B. in Eisenach. In diesem Falle wäre die Urkunde von 1234 eindeutig auf die Osterstein-Burg zu beziehen, alle späteren Belege hingegen auf die Stadtburg. Die Osterstein-Burg hätte dann möglicherweise vorübergehend ihre Funktion an die Stadtburg abgegeben. Diese Möglichkeit bleibt als eine Variante stehen.

Es gibt aber auch Anhaltspunkte für ein höheres Alter der Stadtburg. Sie resultieren aus der vorstädtischen Besiedlung des Stadtgebietes. Wichtig ist dabei vor allem die Lage der nach dem Stadtbrand 1780 aufgegebenen Pfarrkirche St. Johannis. Sie befand sich am heutigen Johannisplatz, rund 150 Meter nördlich des alten Schlosses. Sie ist bereits in den 1230er Jahren gut bezeugt – nicht nur im Zusammenhang mit der bereits erwähnten Exemtion der Burgkapelle, sondern auch durch eine Besitzübertragung an die Kirche im Jahre 1238, bei der bereits das Johannis-Patrozinium erwähnt ist. Sie war bis ins 18. Jahrhundert die einzige Pfarrkirche – nicht nur für die Stadt, sondern auch für mehrere umliegende Dörfer. Beim Stadtbrand im Jahre 1780 wurde sie stark beschädigt und im 19. Jahrhundert abgetragen. Archäologische Untersuchungen haben ergeben, dass die gotische Kirche mindestens einen romanischen Vorgängerbau vor Mitte des 13. Jahrhunderts hatte. Allerdings wären weder die Kirche noch ihre periphere Lage in der Stadt, abseits des zentralen Marktplatzes, zwingende Gründe, ihren Ursprung vor der Stadtgründung zu suchen – wohl aber die urkundliche Nennung eines Geraer Dorfpfarrers namens Konrad in der Zeit um 1200.

Eine alte Dorflage, die den Ortsnamen an die neue Stadt abgegeben hat, ist in oder bei Gera, anders als bei vielen anderen Gründungsstätten, nicht bekannt. Ein als Flurname überlieferter Alter Markt lag in einiger Entfernung nördlich der Stadt, und zwar an der Dornaer Straße. Er besaß aber offensichtlich keine eigene Pfarrkirche. Wenn es in Gera nur eine Ortspfarrei gab, muss diese zugleich die vorstädtische Landpfarrei gewesen sein. Und diese ist somit ebenfalls in der Johanniskirche zu lokalisieren. Die Kirche muss also älter sein als die Stadt und ursprünglich zu einem Dorf Gera gehört haben, das demnach, zumindest teilweise, im späteren Stadtgebiet lag. Tatsächlich ist bei genauerer Betrachtung des Stadtgrundrisses – wiederum im Kontrast zum Bild der älteren Forschung – zu konstatieren, dass diese durchaus nicht durchgängig eine unzweifelhaft regelmäßige Anlage zeigt, wie Kretschmer es so sagt.

Die detaillierten Pläne des 19. Jahrhunderts und Luftbilder vor den Flächenabrissen in der Innenstadt lassen erkennen, dass nur einzelne Bereiche den Kriterien der Planmäßigkeit entsprechen – und zwar vor allem um die regelmäßigen Platzanlagen Markt und Kornmakt sowie nördlich davon. Andere Teile lassen Geradlinigkeit und Rechtwinkligkeit des Straßensystems völlig vermissen. Besonders unregelmäßig sind die Gassen rings um das alte Schloss. Die Alte Schlossgasse, die Häselburg, die Siedelhofgasse aber auch die heutige Burgstraße wurden nicht als eine Straßenachse angelegt, sondern aus mehreren Straßenabschnitten zusammengesetzt. Die heutige Burgstraße entstand aus den Abschnitten Alte Schlossgasse, Kirchhof, Hinter der alten Kirche und Klotzgasse. Die Achse Kirchgasse–Lange Gasse vermittelt ebenso den Eindruck, als handele es sich um eine durchgehend geplante und angelegte Strecke. Doch auch hier ist das Gegenteil der Fall.

Die zuvor beschriebene, von Nord nach Süd verlaufende Straße, heute Burgstraße, ist immerhin zumindest topografisch im Stadtbild eine der Hauptachsen der Stadt. Doch ist sie anscheinend nicht einheitlich mit dem regelmäßigen Straßenbett angelegt worden, sondern beschreibt einen leichten Bogen. Das ist sowohl im Grundriss als auf dem Luftbild gut zu erkennen. Dieser Bogen entspricht recht genau dem Höhenlinienverlauf. Würde man auf dem Stadtplan die Höhenlinien darstellen, könnte man die Einbettung der Straße in den Bogen gut erkennen. Allerdings ist das Gefälle in diesem Bereich keineswegs so groß, dass man die Straße nicht hätte gerade anlegen können, wenn der Wille im Rahmen eines Stadtplanungsvorganges vorhanden gewesen wäre. Offensichtlich handelt es sich um eine Straße, die sich, entsprechend dem Gelände vor der planmäßigen Stadtanlage, so herausgebildet hat. Da an dieser besagten Straße die Johanniskirche mit ihrem Kirchhof lag, war die Straße wohl ebenfalls älter als die planmäßige Stadtanlage. Und an ihr lag auch das alte Schloss.

Entlang der westlichen Stadtmauer, befand sich mit dem Gelände der Reußischen Regierungsgebäude und mehreren seit dem 16. Jahrhundert fassbaren Freihöfen ein großer herrschaftlicher Sonderrechtsbereich innerhalb der Stadt, welcher sich nördlich vor dem Schlosstor mit einem weiteren Freihaus fortsetzte. Zum sogenannten Volkmarschen Freihof oder Siedelhof, der zwischen dem altem Schloss und der Kirche lag, gehörte unter anderem ein Garten auf der anderen Seite der Stadtmauer. Dieser Besitz erstreckte sich also über die mittelalterliche Stadtgrenze hinaus. Auf der gegenüberliegenden Seite des Mühlgrabens, außerhalb der Stadt, schloss sich daran das sogenannte Schlicksche Erbgericht, auch Limmers Garten genannt, an. Es war ebenfalls ein mit eigener Gerichtsbarkeit und Freiheit von städtischen Abgaben versehenes großes Grundstück. Auch ein großer dreieckiger Platz, der durch die heutige Bebauung auch kaum noch als solcher wahrnehmbar ist und bis ins frühe 19. Jahrhundert Anger, später Roßplatz hieß, schloss daran an.

An einem Bereich nördlich davon, nahe dem heutigen Stadtmuseum, haftete der altertümliche Name Brühl, der ebenfalls ein Hinweis auf eine vorstädtische Siedlung sein könnte. Möglicherweise wird hier beiderseits des Mühlgrabens, zwischen Angermühle und Klotzmühle, eine vorstädtische Siedlung fassbar, die von herrschaftlichen Besitzverhältnissen geprägt war, und daher wohl am ehesten mit dem zu vermutenden Quedlinburgischen Fronhof, dem um 1200 und nochmals 1306 genannten Allodium, in Verbindung zu bringen ist. Zu dieser Siedlung könnte dann auch, vielleicht als grundherrlicher, d. h. Quedlinburgischer Amtssitz, das alte Schloss bzw. dessen Vorgängerbau gehört haben.

Da das Stift Quedlinburg erst 1306 alle seine Besitz- und Herrschaftsrechte an die Vögte abtrat, nahm es diese Rechte vorher zumindest teilweise noch selbst wahr. So blieb 1237 in der berühmten Ersterwähnungsurkunde Geras als Stadt, in der Einigung zwischen dem Stift und den Vögten über die Gerichtsrechte in Gera, die niedere Gerichtsbarkeit über die Stadtbürger den Quedlinburgischen Schultheißen vorbehalten, die hier noch unabhängig von den Vögten ansässig waren. Das Schultheißenamt wurde erst im Jahre 1306 abgegeben. Auch die Allodien, wahrscheinlich Fronhöfe, wurden offenbar bis zu diesem Zeitpunkt noch von Quedlinburg bzw. seinen Amtsleuten, aber nicht von den Vögten, verwaltet. Ein Quedlinburgischer Amtssitz könnte also, ebenso wie die Kirche, bei der Gründung der Stadt in diese mit einbezogen worden sein, und durchaus noch längere Zeit bestanden haben. Nach 1306 mögen Beamte der Vögte dort die Geschäfte ihrer Quedlinburgischen Vorgänger weitergeführt haben.

Für die Rolle des alten Schlosses als Sitz des Stadtgerichts spricht die nachweisliche Nutzung als Gefängnis. Sie ist seit dem 17. bis ins 19. Jahrhundert belegt. Als herrschaftlicher Verwaltungssitz innerhalb eines unbefestigten Dorfes dürfte das alte Schloss schon in vorstädtischer Zeit eine eigene Befestigung besessen und diese nach der Einbeziehung in die Stadtanlage lediglich beibehalten haben. Das die im 19. Jahrhundert noch vorhandenen baulichen Reste in vorstädtische Zeit zurückreichen, ist allerdings unwahrscheinlich. Die Anlage könnte in späterer Zeit zu Gunsten der Wehrhaftigkeit der Stadt, eben in der Stadtmauerecke, erneuert worden sein. Die Häselburg war unter diesen Umständen vielleicht eine Höhensiedlung. Das bleibt aber sehr spekulativ.

Da das alte Schloss als Amtssitz aber nicht, wie andere Stadtburgen, zumindest zeitweilig als herrschaftlicher Wohnsitz fungierte, sondern nur administrative Aufgaben genutzt wurde, könnte es für die jeweiligen Ortsherren als Urkundenaussteller weniger als Burg denn vielmehr als integraler Bestandteil der Stadt Bedeutung gehabt haben – vor allem nach dem Rückzug Quedlinburgs aus dem örtlichen Recht. Vielleicht war dies der Grund, dass es neben der Stadt selbst nicht ausdrücklich in den Geraer Urkunden genannt wurde. Zumindest würde eine derartige Siedlungsentwicklung erklären, warum das alte Schloss an einer in Bezug auf die Stadtanlage strategisch so unvorteilhaften Stelle lag – nämlich, indem es ursprünglich gar nicht auf die Stadt oder dem Verkehrsweg auf der höheren Uferterrasse bezogen war, sondern auf eine agrarische Siedlung im Tal, von der die günstigere Position auf dem Nicolaiberg einfach zu weit entfernt war.

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