ZUNEHMENDER LINKSEXTREMISMUS UND ERKLÄRUNGSVERSUCHE

Seit mehreren Jahren ist in Deutschland ein Anstieg der extremistischen Straftaten im Bereich der politisch motivierten Kriminalität zu verzeichnen. Im Jahr 2022 wurden insgesamt 35’452 Straftaten mit extremistischem Hintergrund registriert, davon 20’967 aus dem rechten und 3847 Straftaten aus dem linken politischen Spektrum.

In den vergangenen Jahren konzentrierte man sich bei der Bekämpfung von Extremismus überwiegend auf die politische Rechte. Die Entwicklungen auf der linken Seite wurden dabei jedoch kaum beachtet. Nachdem das Oberlandesgericht Dresden die Studentin Lina E. am Mittwoch, den 31. Juni 2023, wegen mehrerer brutaler Angriffe auf Rechtsextremisten zu fünf Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt hatte und es daraufhin in Leipzig zu Ausschreitungen gekommen war, warnen Experten vor einem Abrutschen der Linksextremisten in den Terrorismus. Auch Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, sprach vom Weg in den Linksterrorismus. Der Extremismus- und Terrorismusexperte Felix Neumann von der Konrad-Adenauer-Stiftung ordnet den Linksextremismus in Deutschland als wachsende Bedrohung ein.

Wie lässt sich diese Entwicklung erklären? Typisch für die linke Szene sind Denkmuster nach einem Freund-Feind-Schema. Dazu gehört die Vorstellung von „den Rechten“ und „den Linken“ und das Bedürfnis, andere Menschen entsprechend kategorisieren zu müssen. Vertreter von Positionen, die nicht in das eigene Weltbild oder die Ideologie passen, werden häufig als „Nazis“ tituliert, wobei man sich legitimiert sieht, Gewalt gegen diese auszuüben.

Eine Gemeinsamkeit politisch linker Strömungen ist, dass sie von einer Gleichheit der Menschen ausgehen, während die politische Rechte von einer Ungleichheit ausgeht, zum Beispiel mit Blick auf die Intelligenz, Auffassungsgabe, Leistungsbereitschaft bis hin zu äußerlichen Merkmalen. Beide kommen zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Während die politische Rechte gesellschaftliche Hierarchien als unausweichlich ansieht oder sogar befürwortet, werden diese im linken Spektrum, wo ein Ausgleich angestrebt wird, abgelehnt.

Das eigene Weltbild wird dabei in den extremistischen Teilen beider Anschauungen als unfehlbar angesehen. Zwangsläufig kommt es zu Konfrontationen und einer Gewaltspirale. Sowohl der Rechts- als auch der Linksextremismus werden dann hochgefährlich. In der Überzeugung, der Staat unternehme zu wenig gegen Rechtsextremisten, neigt der linke Teil schließlich zur Selbstjustiz. Sich selbst als „Antifaschisten“ wahrnehmend, sieht man sich dem Kampf gegen „Faschisten“ verpflichtet. Einige Experten halten hier einen baldigen Strategiewechsel für möglich: Anstatt gegen Institutionen könnte sich die Gewalt zunehmend gegen konkrete Personen richten.

Von Außenstehenden werden Erscheinungen wie die „Antifaschistische Aktion“ häufig als aggressiver Mob wahrgenommen, der zur Durchsetzung seiner Vorstellungen auch vor lebensgefährlicher Gewalt nicht zurückschreckt. Die Teilnehmer sind vermummt und treten bei Demonstrationen als sogenannter schwarzer Block auf. In Leipzig wurden am 3. Juni 2023 insgesamt 1500 Demonstranten gezählt; 300 von ihnen konnte die Polizei einkesseln.

In der übergeordneten Betrachtung können Extremismus und Terrorismus als Folge eines schnell ablaufenden Wandlungsprozesses auf mehreren Ebenen angesehen werden — wirtschaftlich, gesellschaftlich und sozial. Das frühere, verhältnismäßig stabile Gefüge löst sich auf, und es kommt zu einer Konglomeratisierung, durch die immer mehr Menschen immer weniger Halt finden. Bisherige Positionen und Wertevorstellungen werden zunehmend infrage gestellt; es herrschen Unsicherheit und Zukunftsängste. Damit einhergehend wächst das Bedürfnis nach Veränderungen. Es treffen konträre Lebensvorstellungen aufeinander, die sich nicht mehr zusammenführen lassen. Jeder will das bekämpfen, was er in seiner Lebenswelt als Bedrohung wahrnimmt.

In der Regel bewirken plötzliche Veränderungen, etwa personen- oder systembezogene, dass Betroffene das auf sie zukommende zunächst nur als fremdartig empfinden und schließlich als Bedrohung einstufen, wenn sie keine Einflussmöglichkeiten sehen und die Folgen nicht abschätzen können oder für sich als nachteilig erachten. Je größer die Bedrohung dabei erscheint, desto stärker werden die radikalen Tendenzen.

Eine zunehmende Radikalisierung in Deutschland ist wegen der genannten Vorbedingungen sehr wahrscheinlich, wobei davon ausgegangen werden kann, dass es durch die gesellschaftliche Fragmentierung neben Rechts- und Linksextremismus zu weiteren Ausprägungsformen kommt, wobei die jeweils abgelehnten Lebensvorstellungen und Systeme immer härter bekämpft werden.

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*