GERAER TIERPARK UNTER NEUER LEITUNG

Für die Nachfolge von Ulrich Fischer, der über zwei Jahrzehnte den Geraer Tierpark leitete, bewarben sich rund 23 Interessenten. Die Wahl fiel auf den promovierten Naturschutzbiologen und ausgebildeten Wildtiermanager Dr. Florian Weise, der maßgeblich am Aufbau eines Wildtierrehabilitationszentrums in Namibia beteiligt war und bis vor kurzem verschiedene Forschungsprojekte des angewandten Naturschutzes in Afrika leitete. Am 1. August 2021 trat er seine Stelle im Tierpark offiziell an. Im Gespräch mit der Stadtverwaltung spricht der 40-Jährige über seine Liebe zur Natur, die gesellschaftliche Bedeutung des modernen Zoos und seine Ideen für den Geraer Tierpark.

Herr Dr. Weise, haben Sie ein Lieblingstier und woher kommt Ihre Leidenschaft für die Tierwelt?

Nein, ich habe tatsächlich kein Lieblingstier. Mich fasziniert die Mannigfaltigkeit der Natur und wie Biotope und Naturräume als Ganzes funktionieren. Ich stamme gebürtig aus Gotha, bin aber in Ost-Berlin aufgewachsen. Die Wohnung meiner Eltern lag in unmittelbarer Nähe zum Tierpark Berlin, der auf mich als Kind eine große Faszination ausgeübt hat. Zudem war ich mit meiner Familie in Thüringen und Sachsen-Anhalt viel in der Natur unterwegs. Das hat mich geprägt.

Sie sind ausgewiesener Experte im Bereich „Wildlife Management“. Was kann man sich darunter vorstellen?

Im Verlauf meines Biologiestudiums an der Berliner Humboldt-Universität stellte sich für mich die Frage, ob die klassische theoretische Ausbildung und die damit verbundenen Zukunftsaussichten wirklich das Richtige für mich sind. Ich bin ein praktisch veranlagter Mensch. Daher entschloss ich mich nach dem Grundstudium für eine Ausbildung zum Diplom-Wildtieringenieur, so der deutsche Fachbegriff, und ging dazu nach Tansania. Das Wildtiermanagement beschäftigt sich mit den Fragen, wie das Zusammenleben von Menschen und Wildtieren in zusehends zerstückelten und modernisierten Landschaften gestaltet werden kann und wie es gelingt, Naturräume auf Dauer zu erhalten. Ein gutes Beispiel dafür ist die Rückkehr des Wolfes in die Wälder Mitteleuropas. Wie gestaltet man die Koexistenz des Raubtiers und des Menschen verträglich? Die Herausforderung liegt ja darin, dass der zur Verfügung stehende Raum begrenzt ist: Wie schaffen wir also Platz für funktionierende Ökosysteme, wie erhalten wir Waldbestände, wie stellen wir die Wasserversorgung sicher — immer unter der Prämisse, den erreichten Lebensstandard der Gesellschaft nicht aufzugeben.

Wie ging es nach Ihrer Ausbildung in Tansania weiter?

Es folgte ein Magisterstudium im Bereich Verhaltensbiologie und im Anschluss daran mein Promotionsstudium als Naturschutzbiologe. In dieser Zeit begann ich auch als wissenschaftlicher Leiter eines Wildtierrehabilitationszentrums in Namibia zu arbeiten. Unsere Aufgabe war es, die Haltung, Pflege und die Auswilderung verschiedener Raubkatzen, Hyänen und afrikanischer Wildhunde zu begleiten und zu unterstützen. Daran schloss sich die Leitung eines zeitlich befristeten Naturschutzprojektes als Postdoktorand in Botswana sowie die Entwicklung der Naturschutzforschung im Ongava Forschungszentrum in Namibia an.

Das klingt nach einer erlebnisreichen Zeit. Vom sub-saharischen Afrika und angewandter Naturschutzforschung hat es Sie nun nach Gera in den Martinsgrund verschlagen. Warum haben Sie sich für die Stelle als Tierparkleiter beworben? Was reizt Sie an dieser Tätigkeit?

Nach 17 Jahren im Ausland zieht es mich zurück in meine Heimat Thüringen. Ich möchte wieder näher bei Familie und Freunden sein. Auch suche ich nach den vielen Jahren der Forschungsarbeit in der Wildnis Afrikas eine neue berufliche Herausforderung. Meine Bewerbung um die Stelle als städtischer Tierparkleiter und der damit verbundene Umzug von Namibia nach Gera sind bewusste Entscheidungen. Ich hätte auch die Möglichkeit gehabt, weiter international zu arbeiten. Im Grunde bedeutet der Gang in die Tierparkleitung hier in Gera für mich, in zweifacher Hinsicht nach Hause zu kommen. Denn ob als Auszubildender und wissenschaftlicher Projektleiter in Afrika oder als Student in England — immer habe ich mit zoologischen Einrichtungen gearbeitet. Im Rahmen meiner Magisterarbeit etwa untersuchte ich das Nachtverhalten von Elefanten und arbeitete dazu eng mit dem Bergzoo in Halle zusammen. Auch meine Arbeit im Wildtierrehabilitationszentrum in Namibia hat viele Berührungspunkte mit den Aufgaben, die mich im Geraer Tierpark erwarten: Personal- und Finanzmanagement, der Entwurf von Gehegeplänen sowie die Sicherstellung des notwendigen Equipments, um nur einige zu nennen. Ganz besonders freue ich mich darauf, gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern neue inhaltliche Akzente in Gera zu setzen, etwa mit Blick auf den geplanten Klimagarten.

Zoos und Tierparks stehen immer wieder in der Kritik. Die Rolle der Zoos als „Artenschutz-Station“ wird von Tierschützern ebenso in Frage gestellt wie ihr Bildungsauftrag und der Anspruch an artgerechte Haltung. Auch einige Geraer sehen die Haltung der drei Löwen und anderer Wildtiere im Ostthüringer Waldzoo kritisch. Was erwidern Sie ihnen?

Grundsätzlich ist konstruktive Kritik immer legitim. Tierhaltung kann bei allen Arten kritisch betrachtet werden. Wenn wir diese Debatte führen, müssen wir das Thema Tierschutz aus meiner Sicht jedoch ganzheitlich betrachten. In diesem Zusammenhang stellt sich dann auch die Frage, ob das Halten von großen Hunden in städtischen Wohnungen ohne großen Auslauf noch zeitgemäß ist.
Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich: Das Interesse für den Natur- und Artenschutz entsteht durch das ungefilterte Erleben von Tieren und Naturräumen. Meine Faszination für die Natur, mein großes Interesse für den Naturschutz hat seinen Ursprung in der Begegnung mit Tieren im Berliner Tierpark. Hier sehe ich eine ganz wichtige Aufgabe für moderne Zoo- und Tierparkeinrichtungen. Konrad Nickschick (Geraer Umweltamtsleiter, Anmerk. d. Red.) hat das einmal so formuliert: Wir kümmern uns um das, was wir kennen und verstehen. Das ist auch meine Erfahrung und hier liegt der Bildungsauftrag für den Tierpark — Kinder an Naturräume und Tiere heranführen und sie unmittelbar erfahren lassen, welche Bedeutung sie für uns haben. Es geht in modernen Zoos damit also keineswegs mehr um die Zurschaustellung von Tieren. Die Haltung von exotischen Rassen wie etwa dem Löwen in Gera hat dabei durchaus ihre Berechtigung, denn die Tiere lösen bei vielen Menschen eine andere Faszination und Energie aus, nicht zuletzt weil es sich beim Löwen um das Wappentier der Stadt handelt. Damit ist die Chance verbunden, Menschen für den aktiven Natur- und Tierschutz zu begeistern.

Gleichzeitig, und das möchte ich in diesem Zusammenhang auch betonen, wäre es vermessen zu behaupten, die Zootiere lebten wie in der freien Natur. Eine Tierparkeinrichtung hat jedoch die Verantwortung, für die Tiere die bestmöglichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Dazu gehört vor allem, dass sie ihr natürliches Verhaltensrepertoire soweit wie möglich auch in Gefangenschaft ausleben können. Das können wir durch Verhaltensstimulationen erreichen. Ein Beispiel: Die Löwen in Gera müssen um ihr Fleisch, das an einem Seilzug hängt, kämpfen und im Rudel diskutieren, wer als erster fressen darf. Dieses durch Stimulationen simulierte natürliche Verhalten ist ein wichtiger Baustein von artgerechter Haltung. Ich hoffe hier noch weitere Ideen einzubringen. Im Übrigen erfüllt der Geraer Tierpark die gesetzlich vorgeschriebenen Haltungsansprüche vollumfänglich.

1962 als kleines Heimattiergehege gegründet, ist der Geraer Tierpark heute der größte Waldzoo Ostthüringens. In den letzten Jahren hat er sich zu einem echten Besuchermagneten entwickelt – ein Geraer Tourismusziel für Menschen aus ganz Deutschland. Gibt es bereits konkrete Pläne, wie Sie diesen Trend weiter voranbringen wollen?

Ich verstehe meine wesentliche Aufgabe darin, die bereits vorhandenen Stärken des Geraer Tierparks weiter auszubauen und gleichzeitig auf Grundlage eines tragfähigen Konzeptes wichtige neue Akzente zu setzen. Wie schon gesagt: Die Aufgabe moderner Zoos ist es, bei jungen Menschen den Funken zu erzeugen, der dazu beiträgt, dass sie ein nachhaltiges Interesse an der Natur und ihrem Erhalt entwickeln. Und da habe ich in Gera eine wahrhaft luxuriöse Ausgangssituation, denn die Identifikation der Menschen dieser Stadt mit ihrem Tierpark ist ja bereits vorhanden. Ein großes Potenzial sehe ich in seiner Ausrichtung auf lokale und regionale Tierarten und auf zum Teil hochbedrohte Haus- und Nutztierrassen, etwa den französischen Poitou-Esel oder das rotbunte Husumer Protestschwein. Diese Tiere sind zwar nicht so imposant wie Raubkatzen, aber ich kann sie anfassen und in direkten Kontakt mit ihnen treten. Damit einher geht der Auftrag zur Aufklärung und Bildung: Woher kommt diese Rasse? Warum ist sie bedroht? Hier ist noch Luft nach oben. Mit anderen Worten: Geras Tierpark soll nicht zu einem Klein-Namibia umgewandelt werden; ganz im Gegenteil: Sein Charakter muss erhalten bleiben. Exoten bleiben daher auch in Zukunft die Ausnahme. In erster Linie muss es aus meiner Sicht darum gehen, moderne Formen des Naturerlebens für die Besucher zu schaffen.

Woran denken Sie da?

Ein Baumwipfelpfad etwa, unterirdische Gänge und mehr begehbare Gehege können Natur auf ganz neue Weise erleb- und erfahrbar machen. Ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal des Geraer Tierparks ist seine unmittelbare Umgebung: Martinsgrund und Stadtwald. Er ist damit viel mehr als eine bloße Aneinanderreihung von Tiergehegen; er ist ein Naturraum, in dem es viel zu entdecken gibt und der einen positiven Einfluss auf unser Wohlbefinden hat. Die Besucherrekorde in Pandemie- und Lockdownzeiten führen uns sinnfällig vor Augen: Der Mensch braucht die Natur für seine psychische und physische Gesundheit. Hier schließt sich unser Bildungsauftrag an: Anschaulich zu vermitteln, wie wichtig die Natur auch für unsere Gesunderhaltung ist, gerade für die Menschen in urbanen Räumen. Und dieser Naturraum ist durch den Klimawandel in seiner jetzigen Form ernsthaft bedroht. Das gilt ganz konkret für den Geraer Stadtwald. Diese Herausforderungen wiederum sollen mit dem geplanten Klimagarten, in dem verschiedene Baumarten auf ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber extremer Trockenheit getestet werden, dargestellt werden.

Man merkt, Sie haben ganz viele Ideen. Was braucht es in Zukunft, um diese auch umzusetzen?

Vor dem Hintergrund der Stadtratsvorlage „Konzeptionelle Betrachtungen zum Tierpark“ habe ich gemeinsam mit Konrad Nickschick eine Liste von möglichen Projekten erarbeitet; innerhalb kürzester Zeit hatten wir vierzig Ideen zusammen. Für die Umsetzung braucht es aber eine stabile Grundlage. Diese zu schaffen und zu sichern, darauf liegt mein primärer Fokus für die nächste Zeit. Derzeit wird rund die Hälfte der anfallenden Kosten über die Eintrittsgelder finanziert. Damit der Tierpark für die Menschen erschwinglich bleibt und trotzdem Investitionen zum Erhalt und zur Weiterentwicklung der Einrichtung getätigt werden können, müssen zusätzliche Fördermittel generiert werden. Bedingt durch die jahrelange wissenschaftliche Projektleitung bringe ich Erfahrungen in der Drittmittelförderung mit. Darüber hinaus ist die Gründung eines Fördervereins wichtig und sinnvoll, insbesondere mit Blick auf die breite Unterstützung, die der Tierpark in der Bevölkerung genießt, was nicht zuletzt in der hohen Spendenbereitschaft konkret wird.

Sie tragen nicht nur die Verantwortung für zirka 500 Tiere, sondern auch für derzeit rund 17 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie eine Reihe ehrenamtlicher Helfer und weiterer Unterstützer. Was ist Ihnen wichtig in der Zusammenarbeit?

Der Tierpark ist nicht mein privates Königreich, sondern ganz grundlegend eine Teamleistung — da stecken viele Hände, Köpfe und Herzen dahinter. Ich habe mir in Vorbereitung auf meinen Stellenantritt einen ersten Überblick über die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Tierpark verschaffen können und festgestellt: Hier kommen über einhundert Jahre an Arbeitserfahrung für die Einrichtung zusammen. Auf diese Erfahrung setze ich. Deshalb möchte ich in einem ersten Schritt die Menschen kennenlernen und mir aktiv Feedback einholen. Sicher sind schon viele Ideen vorhanden. Mein Wunsch ist es, dass wir alle gerne und motiviert jeden Tag auf Arbeit kommen, dass sich der Einzelne in seinen Aufgaben wiederfindet und ganz wichtig, sich auch verwirklichen kann. Wir werden sicherlich nicht immer derselben Meinung sein; umso wichtiger ist es für mich den besten Weg und eine gemeinsame Lösung im Rahmen eines respektvollen und ehrlichen Miteinanders zu finden.

Sie sind kein gebürtiger Geraer. Ziehen Sie nach Gera? Und was mögen Sie an der Stadt?

Ich komme nicht als Durchreisender, sondern weil ich hier wirklich eine Aufgabe sehe. Eine solche Arbeit kann man nicht aus der Ferne erledigen; dazu muss ich vor Ort sein. Daraus ergibt sich, dass Gera auch mein neuer Lebensmittelpunkt ist. Diese Woche bin ich in eine Wohnung in der Nähe des Stadtwaldes gezogen. Ich freue mich auf diesen neuen Lebensabschnitt hier in Gera. In den vielen Vorgesprächen habe ich eine bemerkenswerte Offenheit, Motivation, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Menschen erlebt. Das begegnet einem nicht überall und das ist beeindruckend. Ich habe ein gutes Bauchgefühl.

QUELLE: STADTVERWALTUNG

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