DIE GEPLANTE UNTERMINIERUNG DER PARLAMENTARISCHEN DEMOKRATIE

Der Ruf nach einer stärkeren Bürgerbeteiligung wird genutzt, um ein Losverfahren in den Diskurs zu bringen. Beraten von Wissenschaftlern und Experten, die zu Lobbynetzwerken gehören, sollen ausgeloste Bürger Entscheidungen im Sinne der Transformationsagenda treffen. Aufgrund des Eindrucks, diese seien der Wille des gesellschaftlichen Querschnitts, wird eine breite Akzeptanz erwartet.

Als in der am 30. Januar 2023 ausgestrahlten Sendung „Hart aber fair“ darüber diskutiert wurde, wie die „Klimakrise“ den Alltag und das Leben verändert, forderte Aimée van Baalen von der Protestgruppe Letzte Generation „andere demokratische Mittel“, um die Bundesregierung zur Einhaltung der Klimaziele zu zwingen. Konkret sprach sie von einem Gesellschaftsrat, dessen Mitglieder per Los bestimmt werden und verbindliche Entscheidungen treffen. Dieser Rat solle der Regierung verbindlich vorschreiben können, was zu tun sei. „Das Los ist keine Demokratie“, rief Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann von der CDU, zugleich Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, dazwischen.

Nun ist höchste Vorsicht geboten, denn die Idee von Gesellschafts- oder Bürgerräten stammt keineswegs von denen, die damit eine öffentliche Debatte anstoßen wollen. Vielmehr sind sie Teil der Transformationsagenda, die mit 17 Zielen und einer besseren Bürgerbeteiligung für sich wirbt. In mehreren Ländern wurde das Konzept der sogenannten partizipativen Demokratie bereits erprobt. Der Zuspruch scheint umso größer zu werden, je häufiger der Parlamentarismus in negative Schlagzeilen gerät. Die Entwicklung hierbei ist allerdings nicht die Folge zufälliger Ereignisse.

„Das Vertrauen in das parlamentarische System steht auf dem Spiel“, titelte der Deutschlandfunk am 4. Februar 2023 mit Blick auf die Wiederholung der Wahl in Berlin und die Wahlrechtsreform, durch die das Parlament verkleinert werden soll.

Ursache des Vertrauensverlustes ist im Grunde die zunehmende Unzufriedenheit der Bürger. Diese wird nun in den Medien verbalisiert und ganz vorsichtig in eine konkrete Richtung gelenkt. Die modellierte Meinung lautet dann: Das parlamentarische System ist für Zukunftsfragen ungeeignet; es braucht eine stärkere Bürgerbeteiligung. Vorschläge wie die von Bürger- oder Gesellschaftsräten werden dann dankbar angenommen.

Ohnehin sind inzwischen manche Wähler der Ansicht, die Mehrheitsmeinung wird beeinflusst, indem einfach die Mehrheiten im Stimmvolk verändert werden, etwa durch Zuwanderung. Oder es wird der Kreis der Wahlberechtigten um einige Altersgruppen erweitert. In ein paar Jahren wirkt sich beides dann auch auf das Ergebnis aus. Im Meinungsspektrum könnte es zu deutlichen Verschiebung kommen.

Teilnehmer von Bürgerräten berichten, dass bei der Auswahl der Experten und Wissenschaftler keine Pluralität herrscht. Im Grunde vertreten alle dieselbe Anschauung, wodurch die Schlussfolgerungen, zu denen die Teilnehmer kommen sollen, eigentlich schon feststehen. Es gehe nur darum, ihnen das Gefühl zu vermitteln, selbst eine Entscheidung getroffen und in einem wichtigen Gremium mitgewirkt zu haben.

Unter Verwendung der Einwohnermelderegister werden Bürger ausgelost und von agendakonformen Experten beraten, wobei die sogenannte Delphi-Methode zum Einsatz kommt. Hierbei handelt es sich um einen kontrollierten Prozess der Meinungsbildung. Der leitende Moderator schafft ein Gut-Böse-Szenario und sorgt dafür, dass jeder, der eine für die Agenda ungeeignete Meinung vertritt, in einem negativen Lichte erscheint. In kleineren Gruppen müssen die Teilnehmer über vorgegebene Themen diskutieren, wobei jeweils ein eigener Moderator eingesetzt wird. Dieser stellt die zu Papier gebrachten Ideen und Meinungsverschiedenheiten anschließend zusammen, ohne dass klar ist, wieviele Teilnehmer welche Position vertreten haben. Der zahlenmäßige Anteil und die Gewichtung sind somit nicht bekannt, und dies wird in der Regel nicht hinterfragt. Das Ziel ist es, die Teilnehmer in den Glauben zu versetzen, selbst Ideen entwickelt und Entscheidung getroffen zu haben. Außerhalb der Bürgerräte soll das für eine breite Akzeptanz sorgen und dazu führen, dass der Ruf nach einem Ausbau der „partizipativen Demokratie“ lauter wird.

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