EIN FOSSIL VON DER SCHIEFERGASSE IN MILBITZ

Ein neuneinhalb Zentimeter breites Fossil ist das Objekt des Monats im Museum für Naturkunde. (Bild: Stadtverwaltung/Museum für Naturkunde/Frank Hrouda)

Das Objekt des Monats Juni im Geraer Museum für Naturkunde ist ein Fossil aus Milbitz. Es zeigt die glänzende Schale eines Meerestieres. Von solchen Schalen liegen im geologischen Untergrund des Nordwestens und Nordostens von Gera abermillionen Exemplare. Diese Schale ist jedoch mit 9,5 Zentimetern Breite im Gegensatz zu den meisten anderen herausragend groß. Verborgen innerhalb des Schalenpaares lebte vor rund 255 Millionen Jahren am Meeresboden ein Tier, das zum Tierstamm Brachiopoden bzw. Armfüßer gehörte. Oft werden solche Brachiopoden mit versteinerten Muscheln verwechselt. Es gibt sie seit etwa 540 Millionen Jahren bis heute auf der Erde. Dieses große Exemplar wurde bereits im 19. Jahrhundert im Bereich der Schiefergasse gefunden und der „Geologischen Landessammlung“ zugeführt.

Diese Sammlung wurde ab 1858 von Heinrich XIV. Reuß j. L. als fürstliche Privatsammlung angelegt. In ihr wurden Gesteine, Mineralien und Fossilien aus den zahlreichen Fundstellen im Fürstentum Reuß jüngere Linie zusammentragen. Zuerst befand sie sich auf Schloss Osterstein, dann im Fürstlichen Palais am Johannisplatz. 1884 wurde sie dem Fürstlichen Gymnasium übertragen und 1920 an das damalige Städtische Museum übergeben. Dort überstanden große Teile die Zerstörungen des II. Weltkrieges und gelangten anschließend in das Schreibersche Haus, in dem heute das Museum für Naturkunde untergebracht ist. Es ist also einigen Glücksumständen zu verdanken, dass man heute dieses schöne Fossil noch in den Händen halten kann. Durch die Tätigkeit des chinesischen Paläontologen Ya-Tseng Chao lautet der wissenschaftliche Name seit 1927 Horridonia horrida. Das lateinische Wort „horridus“, das dem Namen zugrunde liegt, trägt eine ganze Reihe an Bedeutungen, darunter schrecklich, schauderhaft und entsetzlich, aber auch struppig, zottig und borstig. Die Bezeichnung greift also ein typisches Merkmal der ausgestorbenen Tierart auf, das an den Schalen mehr oder weniger beachtlich lange Stacheln hatte und damit wirklich „schrecklich“ ausgesehen haben muss. Kein Wunder, dass der Geraer Heimatforscher Rudolf Hundt (1889-1961) im Jahr 1955 „Ein schrecklicher Armfüßler“ schreibt. Im Katalog der „Geologischen Landessammlung“ wird das Fossil noch als Productus horridus bezeichnet, was damals korrekt war und auf eine Beschreibung des britischen Naturforschers James Sowerby (1757-1822) aus dem Jahr 1822 zurückgeht.

Im Jahrhundert davor fand der Geraer Apotheker, Botaniker und Geologe Tobias Conrad Hoppe (1697-1778) auch schon die Schalen dieses in Gera häufigen Fossils und nannte sie 1745 in einer Beschreibung Gryphiten. Er betrachtete sie als Beweis der biblischen Sintflut. Die glänzende Horridonia horrida aus Milbitz ist jedoch ein Zeuge eines fast letztens Moments einer großen Epoche der Erdgeschichte, die kurz vor ihrem katastrophalen Ende stand. Denn das Ende der Zechsteinzeit bedeutete auch das Ende des Erdaltertums und den Übergang zum Erdmittelalter, kurz die Perm-Trias-Grenze. Vor 251,94 Millionen Jahren ereignete sich an dieser Grenze das größte Massensterben der Erdgeschichte. Etwa 75 % der Landlebewesen starben aus. Im Meer starben sogar etwa 95 % aller wirbellosen Arten aus. Auch Horridonia horrida überlebte samt aller anderen Vertreter ihrer Ordnung Productida diese Grenze nicht.

Bis zum 26. Februar 2023 ist das prächtige Fossil aus einer längst vergangenen Welt in der Ausstellung „Herrscher auf dem Meeresgrund“ zu sehen.

QUELLE: STADTVERWALTUNG

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